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Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall

Titel: Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Guillermo;Hogan Del Toro
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Station
    Auf dem Weg zur South Ferry Station verlief sich Vasiliy nur ein einziges Mal. Im New Yorker U-Bahn-Netz gab es Dutzende Stationen wie diese, aufgegebene Stationen, die auf keiner Karte mehr verzeichnet waren und beim Vorbeifahren nur durch einen zufälligen Blick aus dem Zugfenster erahnt werden konnten - und das auch nur, wenn man wusste, wo und wann man die Augen aufsperren musste.
    In den Tunneln, durch die sie jetzt gingen, herrschte ein feucht-warmes Klima. Wasser lief in Rinnsalen von den glitschigen Wänden, und die Spur aus strigoi -Exkrementen dünnte langsam aus. Vasiliy sah sich verwirrt um. Der Tunnel verlief parallel zum Broadway und war einer der ersten, die überhaupt je gebaut worden waren. Die South Ferry Station selbst war im Jahre 1905 für den Pendelverkehr geöffnet
worden, der Tunnel unter dem East River, der Manhattan mit Brooklyn verband, drei Jahre später.
    An den Wänden, an denen noch die Originalmosaike angebracht waren, standen in riesigen Buchstaben die Initialen der Station: SF. Daneben ein modernes Schild, das so gar nicht zur altertümlichen Atmosphäre passte:
    KEINE HALTESTELLE - KEIN ZUGVERKEHR
    Als würde irgendjemandem einfallen, hier auf eine U-Bahn zu warten.
    Eph leuchtete mit der Lumalampe in eine kleine Wartungsnische, als eine gackernde Stimme aus der Dunkelheit erklang: »Seid ihr von den Stadtwerken?«
    Sie rochen den Mann, bevor sie ihn sahen. Eine zerlumpte, zahnlose Gestalt war hinter ihnen aufgetaucht, in etliche Schichten alter Hemden, Mäntel und Hosen gepackt, die im Laufe der Zeit seinen durchdringenden Körpergeruch angenommen hatten.
    »Nein«, erwiderte Vasiliy, der früher oft mit solchen Typen zu tun gehabt hatte. »Keine Angst, wir wollen niemanden stören.«
    Der Mann musterte sie eingehend, dann schien er bezüglich ihrer Vertrauenswürdigkeit zu einem positiven Urteil zu kommen. »Ich bin Cray-Z. Kommt ihr von oben?«
    »Klar«, sagte Eph.
    »Wie ist es da? Ich bin einer der Letzten hier unten, wisst ihr.«
    »Einer der Letzten?« Jetzt entdeckte Eph die Umrisse verwahrloster Zelte und Behausungen aus Kartons in der Dunkelheit. Und er sah die gespenstischen Gestalten dazwischen. »Tunnelmenschen« wurden sie genannt, die illegalen Bewohner dieses unterirdischen Labyrinths, die Ausgestoßenen, Mittellosen und Bedürftigen, die in der Giuliani-Ära von den Straßen vertrieben worden waren und hier eine neue
Heimstatt gefunden hatten. In den Tunneln war es selbst im strengsten Winter noch so warm, dass man nicht erfror, und mit Glück und ausreichend Erfahrung konnte man ungestört bis zu sechs Monaten an einer Stelle campieren - ja, weit entfernt von den vielbefahrenen U-Bahn-Strecken war es sogar möglich, jahrelang keinem einzigen Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe über den Weg zu laufen.
    Cray-Z blickte Eph schief an. Offenbar konnte der Mann nur noch auf einem Auge sehen; das andere war von Ekzemen umgeben. »Ja, Mann. Wir waren mal eine richtige Kolonie, aber jetzt sind die meisten abgehauen, genau wie die Ratten. Zum Glück haben sie ihre Wertsachen hiergelassen.« Lächelnd zeigte er auf einen Müllberg aus zerfetzten Schlafsäcken, verdreckten Schuhen und alten Mänteln, dann murmelte er gedankenverloren: »Das ist echt seltsam, Mann. Richtig unheimlich.«
    Was die Verschwundenen zurücklassen … Vasiliy spürte einen Stich im Herzen. Er musste an diese Geschichte denken, die er einmal im National Geographic gelesen oder im History Channel gesehen hatte: Zur Zeit der Besiedelung Amerikas durch die Europäer war auf Roanoke Island eine Kolonie von über hundert Menschen über Nacht einfach verschwunden. Alle, ohne Ausnahme. Man fand ihre Habseligkeiten, jedoch keinerlei Hinweise darauf, was ihnen zugestoßen war. Nur zwei geheimnisvolle Botschaften: das Wort CROATOAN in einen Holzbalken und die Buchstaben CRO in die Rinde eines danebenstehenden Baums geritzt … Nachdenklich betrachtete der Kammerjäger die Initialen SF in dem Mosaik an der Stationswand.
    »Ich kenne Sie«, sagte Eph plötzlich, der einen gebührenden Abstand zu dem übelriechenden Cray-Z hielt. »Ich habe Sie schon mal gesehen - oben, meine ich. Sie haben eines dieser Schilder getragen. GOTT SIEHT ALLES oder so etwas.«
    Cray-Z lächelte sein zahnloses Lächeln, drehte sich um und hob ein handgemaltes Schild vom Boden auf. Dann präsentierte
er stolz den grellroten Schriftzug: GOTT SIEHT ALLES!!!
    Der Mann war - das war nun unverkennbar - ein Ausgestoßener unter

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