Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
verletzten Hände hatte er ihn besiegt, hatte ihn nach einem hartem Kampf ins Sonnenlicht gezerrt und zugesehen, wie die Kreatur zu Asche verbrannte.
Nichts schien sich hier verändert zu haben. Erst als er die steinernen Kammern unter den Ruinen betrat, fielen ihm auf dem Boden frische Spuren auf. Hier hatte offensichtlich noch vor kurzem jemand gehaust.
Schnell verließ Setrakian die Kammern wieder, und als er vor der düsteren Ruine stand, spürte er, wie sich seine Brust verkrampfte. Das Böse war hier beinahe mit Händen zu greifen …
Langsam verschwand die Sonne am westlichen Horizont; schon bald würde sich tiefe Finsternis über das Land senken. Wie ein Priester im Gebet schloss Setrakian die Augen. Aber er richtete seine Gedanken nicht an ein höheres Wesen, sondern versuchte, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen - indem er seine Angst zurückdrängte und sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrierte.
Als er bald darauf zum Bauernhaus zurückkehrte, waren die Einheimischen fort. Still und grau lagen die Äcker da, wie ein Friedhof - was sie in gewisser Weise ja auch waren.
Setrakian betrat das Haus und sah sich um. Er war allein, wie er es erhofft hatte. Im Wohnzimmer jedoch entdeckte er etwas, das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte: Auf einem kleinen Beistelltisch lag eine kunstvoll geschnitzte Pfeife. Er nahm sie in seine verkrümmten Hände.
Er hatte sie sofort erkannt.
Er selbst hatte sie angefertigt.
Weihnachten 1942 hatte er auf Befehl eines ukrainischen Hauptmanns vier Pfeifen geschnitzt, die dieser dann als Geschenke verteilt hatte.
Die Vorstellung, wie Strebel mit seiner Familie in diesem Zimmer gesessen und den Geschmack des Tabaks und die
feine, zur Decke steigende Rauchfahne genossen hatte, ließ die Pfeife in Setrakians Händen erzittern. Genau an dieser Stelle hatte sich das brennende Loch befunden, die Grube, vor der die todgeweihten Gefangenen zu einem gleichgültigen Himmel aufgeblickt hatten.
Er zerbrach die Pfeife in zwei Teile, warf sie zu Boden und zertrümmerte sie unter seinen Sohlen. Eine Wut, wie er sie seit Monaten nicht verspürt hatte, strömte durch seinen Körper.
Doch so plötzlich, wie er gekommen war, verschwand dieser ohnmächtige Zorn auch wieder.
Ruhig, konzentriert ging er in die schlichte Küche, zündete dort eine Kerze an, stellte sie in das Fenster, das Richtung Wald ging, und setzte sich an den Tisch. Während er wartete, machte er seine Dehnübungen und dachte an jenen Tag, an dem er die kleine Dorfkirche betreten hatte. Ein verzweifelter Flüchtling auf der Suche nach Essen. Die Kirche war verlassen gewesen, die katholischen Priester waren längst verschleppt worden. In einem kleinen Pfarrhaus neben der Kirche hatte Setrakian warme Gewänder gefunden und sie mehr aus Verzweiflung als aus planvollem Handeln angezogen. Seine Sträflingskleidung war heillos zerrissen gewesen, hatte ihn kaum gegen die Kälte geschützt und für alle Welt als Flüchtigen kenntlich gemacht. Dann war ihm die List mit dem Verband eingefallen, den in Kriegszeiten niemand für besonders ungewöhnlich halten würde. In so finsteren Zeiten hatten sich die Dorfbewohner nach spirituellem Beistand gesehnt und so hatten sie einem stummen Priester gebeichtet, der ihnen allein mit seinen verkrüppelten Händen und nicht durch tröstende Worte Segen und Absolution gespendet hatte.
Aus Abraham Setrakian war nicht der Rabbi geworden, den sich seine Familie gewünscht hatte. Aber etwas ziemlich Ähnliches. Hätten sie ihn doch nur sehen können …
In der Abgeschiedenheit dieser verlassenen Kirche hatte er mit den Dämonen der Erinnerung gerungen. Hatte sich gefragt, ob die Schrecken, die er erlebt hatte, Wirklichkeit gewesen
waren - nur seine verkrüppelten Hände waren der Beweis dafür. Und später hatte er anderen Flüchtlingen in »seiner« Kirche Asyl gewährt: Bauern auf der Flucht vor der polnischen armia krajowa , Deserteuren aus den Reihen der Wehrmacht und der Gestapo. Sie hatten ihm berichtet, dass das Lager vom Erdboden verschwunden war …
Eine gespenstische Stille herrschte im Bauernhaus, nun, nachdem die Sonne untergegangen war und sich die Nacht über die Felder gesenkt hatte. Von den mannigfaltigen Geräuschen der nächtlichen Wälder war hier, im Umkreis des ehemaligen Lagers, nichts zu hören; es schien, als würde hier selbst die Nacht den Atem anhalten.
Der Besucher ließ nicht lange auf sich warten. Erst zeigte er sein wurmweißes
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