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Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall

Titel: Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Guillermo;Hogan Del Toro
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ein.
    Jackson trat einen Schritt zurück, um das Symbol in Gänze in Augenschein zu nehmen. Sechs schwarze Linien, die sich in einem roten Zentrum trafen. Er verglich es mit anderen Fotos in seinem Datenspeicher. Das Zeichen ähnelte dem, das er gestern in Bay Ridge aufgenommen hatte, obwohl das nicht so detailliert ausgearbeitet gewesen war. Ein weiteres - aus Canarsie - erinnerte mehr an ein überdimensionales Sternchen, die Technik war jedoch ganz ähnlich.

    Jackson würde Phades Arbeit überall erkennen. Klar, im Vergleich zu seinen anderen Werken war dies hier geradezu amateurhaft, doch die meisterhaft geschwungenen Bögen und die exakten, freihändig gezeichneten Proportionen waren unverwechselbar.
    Der Kerl brachte es fertig, in einer einzigen Nacht die ganze Stadt zu verschandeln. Wie machte er das nur?
    Jackson gehörte zur »Antivandalismuseinheit« der New Yorker Polizei; seine Aufgabe war es, der Verbreitung von Graffiti jeglicher Art Einhalt zu gebieten. Das NYPD verfolgte in dieser Hinsicht eine ganz klare Linie: Selbst das kunstvollste, bunteste Graffiti stellte einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar, eine Einladung an alle anderen, mit gemeinschaftlichem Eigentum nach Lust und Laune umzuspringen. Natürlich beriefen sich diese Typen immer auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, aber auch Umweltverschmutzung war eine Art von Äußerung - für die man eben bestraft wurde. Recht und Ordnung waren zerbrechliche Güter, und das Chaos war immer nur ein paar Schritte entfernt.
    Wie man inzwischen überall in der Stadt beobachten konnte.
    Fast die ganze South Bronx befand sich mittlerweile im Ausnahmezustand. Nachts war es am schlimmsten, und Jackson rechnete stündlich damit, dass ihn der Captain von seiner jetzigen Aufgabe abzog und in Uniform durch die Straßen patrouillieren ließ. Doch bisher war der Befehl noch nicht erfolgt. Überhaupt gab es ziemlich wenig Funkverkehr, wovon er sich jedes Mal überzeugen konnte, wenn er das Gerät in seinem Dienstwagen einschaltete.
    Der Gouverneur hatte darauf verzichtet, die Nationalgarde zu Hilfe zu rufen. Klar, der feine Pinkel saß dort in Albany und sorgte sich in erster Linie um seine politische Zukunft. Und es hieß, dass die Nationalgarde hoffnungslos unterbesetzt war, weil so viele Einheiten im Irak und in Afghanistan stationiert waren. Trotzdem, wenn Jackson die schwarzen
Rauchwolken über der Stadt betrachtete, war er durchaus der Meinung, dass jede Hilfe mehr als willkommen war.
    Es blieb ihm also nichts anderes zu tun, als sich seiner Arbeit zu widmen.
    Jackson kannte alle möglichen Sprayer in der Stadt, doch keiner von ihnen hatte so viele Fassaden verschandelt wie Phade. Der Kerl war überall. Er schlief den ganzen Tag und sprayte die ganze Nacht, anders ging das gar nicht. Inzwischen war er fünfzehn oder sechzehn, aber er trieb das Spiel seit seinem zwölften Lebensjahr - das typische Einstiegsalter, in dem die Teenies sich erst einmal an Objekten wie Schulwänden oder Zeitungskästen versuchten. Auf den Bildern der Überwachungskameras war Phades Gesicht bisher nie zu erkennen gewesen. Unter der Sweatshirtkapuze trug er gewöhnlich ein Baseballcap und manchmal sogar eine Atemschutzmaske; dazu das Standardoutfit der Sprayer: Cargohosen mit einer Unmenge an Taschen, ein Rucksack für die Sprühdosen, hohe Turnschuhe.
    Die meisten Sprayer arbeiteten in Teams. Phade nicht. Er war eine lebende Legende, durchquerte ungestraft jedes Viertel. Angeblich war er irgendwie an einen Generalschlüssel der Stadtwerke für sämtliche U-Bahn-Waggons gekommen.
    Der typische Sprayer litt unter mangelndem Selbstwertgefühl, sehnte sich nach Anerkennung innerhalb seiner Altersgruppe und hatte eine verzerrte Wahrnehmung bezüglich seines Stellenwerts in der Öffentlichkeit. Phade erfüllte keines dieser Kriterien. Er hinterließ kein tag - keinen Spitznamen, kein sich wiederholendes Motiv -, sein Markenzeichen war sein Stil an sich. Seine Werke sprangen einem förmlich ins Gesicht. Jacksons Vermutung - die sich im Laufe der Zeit von einer Spekulation fast schon zur Gewissheit erhärtet hatte - war, dass Phade höchstwahrscheinlich an einer Zwangsneurose litt: Asperger-Syndrom oder sogar ein ausgewachsener Autismus.

    Er hatte diese Vermutung vor allem deshalb, weil er in gewisser Weise selbst zwanghaft veranlagt war. Er führte Buch über Phade, nicht unähnlich jenen Skizzenbüchern, die die Tagger mit sich herumtrugen und in denen sie die geplanten

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