Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
einem Helm und einer Schutzbrille verdeckt. Der orangefarbene Schild, den er normalerweise hielt, um sich vor den Paintballkugeln zu schützen, lehnte an dem niedrigen Maschendrahtzaun.
Der Freak stand ganz am Ende des Schießstands, hielt eine Spraydose in der Hand und war eifrig dabei, die Wand zu bemalen.
»Hey!«, rief Jackson.
Der Kerl beachtete ihn gar nicht, sondern sprayte munter weiter.
»Hey!«, rief Jackson noch einmal, diesmal lauter. »NYPD. Ich muss mit Ihnen reden!«
Keine Antwort. Keine Reaktion.
Jackson kontrollierte, ob die Paintballpistolen noch geladen waren. Und tatsächlich: Im durchsichtigen Plastikmagazin einer der Waffen entdeckte er einige orangefarbene Kugeln. Er legte an. Und feuerte. Die Pistole zuckte in seiner Hand, und die Farbkugel explodierte im Dreck vor den Füßen des Sprayers.
Der Kerl zuckte nicht einmal zusammen, sondern beendete in aller Ruhe sein Werk. Dann ließ er die Sprühdose fallen und kam langsam auf Jackson zu.
»Hey, Arschloch! Ich sagte, ich will mit dir reden!«
Der Sprayer blieb nicht stehen. Jackson feuerte dreimal auf seine Brust und färbte sie rot. Dann war der Kerl unter der Brüstung verschwunden und damit außer Jacksons Reichweite.
Der Cop schwang sich über das Geländer, hing für einen Augenblick in der Luft und ließ sich dann fallen. Hier unten konnte er das Graffiti genauer in Augenschein nehmen.
Kein Zweifel, es war Phades Werk.
Jacksons Herz schlug schneller, als er auf die Tür unter der Brüstung zuging und sie öffnete.
Er fand sich in einem kleinen Umkleideraum wieder, dessen Boden mit Farbspritzern bedeckt war; weiter hinten ein schmaler Gang, in dem der Helm, die Handschuhe, die Schutzbrille und die Körperpanzerung des Sprayers lagen. Und in diesem Moment wurde Jackson etwas klar, was er vorher nur vage geahnt hatte: Phade war nicht einfach nur ein Opportunist, der die Aufstände ausnutzte, um die Stadt mit seinen Schmierereien zu verschandeln. Nein, Phade steckte mit den Unruhestiftern unter einer Decke. Ganz offensichtlich spielten seine Graffiti eine Rolle in dem ganzen Schlamassel.
Der Gang führte zu einem kleinen Büro mit Schreibtisch, Telefon, kistenweisen Farbkugeln in Eierschachteln und kaputten Paintballpistolen. Auf dem Drehstuhl lag ein geöffneter Rucksack, der mit Sprühdosen und Filzstiften vollgestopft war. Phades Ausrüstung.
Plötzlich hörte Jackson ein Geräusch hinter sich und wirbelte herum. Der Sprayer stand direkt vor ihm. Er war viel kleiner, als er ihn sich vorgestellt hatte, trug einen verschmierten Kapuzenpullover, ein silberschwarzes Yankee-Cap und eine Atemschutzmaske.
»Hey«, sagte Jackson. Mehr fiel ihm gerade nicht ein. Er hatte den Kerl so lange gejagt, dass der Moment, in dem seine Beute vor ihm stand, beinahe irreal wirkte. »Ich … ich muss mit dir reden.«
Phade starrte ihn aus dunklen Augen an. Jackson trat zur Seite, um dem Sprayer den Weg abzuschneiden, sollte der sich spontan zur Flucht entschließen, und sagte: »Du warst gar nicht so leicht zu finden.« Er tastete nach der Kamera in seiner Jackentasche, zog sie heraus. »Dann mal die Maske und die Mütze ab und sag schön cheese .«
Phade bewegte sich betont langsam. Er hob die farbverschmierten Hände, zog die Kapuze zurück, nahm erst das Cap und dann die Maske ab.
Jackson hielt zwar weiter die Kamera vor dem Auge, aber er drückte nicht auf den Auslöser. Was er durch das Objektiv sah, verschlug ihm den Atem.
Das war nicht Phade. Unmöglich.
Das war irgendein puertoricanisches Mädchen.
Ihr Mund war mit roter Farbe verschmiert, als hätte sie daran geschnüffelt, um high zu werden. Die dicken Tropfen waren bereits getrocknet. Und während Jackson sie noch ungläubig anstarrte, klappte ihre Kinnlade auf, der Stachel schoss heraus - und der Vampirsprayer sprang auf Jackson zu. Rammte ihn gegen die Wand. Saugte ihn aus.
Die Flatlands
Wie alle Stadtteile New Yorks hatten auch die Flatlands, unweit der Südküste Brooklyns zwischen Canarsie und Marine Park gelegen, im zwanzigsten Jahrhundert einige große demographische Veränderungen durchgemacht. Die örtliche Bibliothek bot inzwischen sowohl französisch-kreolische Literatur für die Einwanderer aus Haiti und anderen Karibikstaaten
als auch - in Zusammenarbeit mit den hiesigen Jeschiwas - Lesekreise für die Kinder aus orthodoxen jüdischen Familien an.
Vasiliys Laden lag in einer Seitenstraße der Flatlands Avenue - ein kleines Schaufenster inmitten protziger
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