Das Blut der Azteken
geopfert wurden, weil ihre Tränen an Regentropfen erinnerten. Da dieser Gott meist als kleinwüchsig dargestellt wurde, galten Kinder und Zwergwüchsige als seine bevorzugten Opfer.
Das Wetter war auf der Seite des naualli. Je mehr die Menschen sich vor einer Dürre und der darauf folgenden Hungersnot fürchteten, desto mehr würden sie sich den alten Göttern zuwenden.
Während ich auf den Zauberer wartete und ein wenig herumschlenderte, bemerkte ich ein vollbusiges Mädchen, das etwa in meinem Alter war. Als sie mir einen Blick zuwarf, schlug mein Herz höher. Ich erwiderte ihr Lächeln und näherte mich, als zwei Männer aus der Hütte traten, aus der sie gerade gekommen war. Sie sahen, dass ich das Mädchen anstarrte, und betrachteten mich so feindselig, dass ich zurückwich.
Sie wussten, dass ich kein Indio war. Wegen meiner Größe und meines Körperbaus ähnelte ich eher einem Spanier, und auch mein Bart verriet mich. Indios hatten kaum Bartwuchs und zupften sich die wenigen Haare am Kinn aus, da Körperbehaarung bei den Azteken als ein Zeichen für niedere Herkunft galt.
»Geh rein«, befahl der Ältere der Männer dem Mädchen. Sie warf mir noch einen Blick zu und verschwand in der Hütte.
Ich bummelte weiter ziellos herum. Als ich um eine Ecke bog, stellte ich fest, dass ich mich hinter den Männern befand, die offenbar Vater und Bruder des Mädchens waren. Ich wurde langsamer, um Abstand zu ihnen zu halten. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich einen weiteren Mann bemerkte; ich glaubte, in ihm den Hellseher zu erkennen. Er sprach gerade mit vier Männern. Die fünf machten kehrt und verschwanden im Unterholz. Die beiden Männer vor mir folgten ihm.
Verunsichert blieb ich stehen und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Ich war sicher, dass der naualli und die anderen im Dschungel verschwunden waren, um ein Opfer darzubringen. Welche Erklärung konnte es sonst geben? Wahrscheinlich hatten sie den Zwerg betäubt und würden ihm jetzt auf dem Opferstein das Herz aus dem Leibe reißen. Mateo und José waren in eine größere Stadt geritten, um Karten zu spielen, ein Zeitvertreib, der, wie ich herausgefunden hatte, zu Mateos vielen Lastern gehörte.
Ich verfluchte mein Pech - und mein Pflichtbewusstsein -, als meine Füße mich gegen meinen Willen zu der Stelle trugen, wo die Männer in den Wald geschlüpft waren. Ich war erst ein paar Schritte weit gekommen, als ich plötzlich einem der Indios gegenüberstand. Er zückte ein großes Messer, und ich wich zurück. Ich hörte, wie die anderen Männer sich zwischen den Büschen bewegten, und rannte in panischer Angst zu der Hütte, in der der Zauberer und der Traumdeuter saßen.
Mateo ließ sich erst am nächsten Morgen im Lager blicken.
Während er einen Schluck aus seinem Weinschlauch nahm und unter seine Decke kroch, berichtete ich ihm von meinem Verdacht, was den Zwerg anging. »Bestimmt wurde der Zwerg letzte Nacht geopfert.«
»Woher willst du das wissen? Weil der Mann vermisst wird? Deshalb muss er doch nicht gleich geopfert worden sein.«
»Natürlich fehlt mir Eure Erfahrung als Weltreisender und Soldat«, meinte ich, um ihm zu schmeicheln, »aber trotz meiner Jugend habe ich bereits merkwürdige Dinge erlebt. Ich bin schon einmal Zeuge einer Opferung geworden, und ich bin sicher, dass letzte Nacht wieder eine stattgefunden hat.«
»Dann geh und such die Leiche.« Er zog sich die Decke über den Kopf und beendete damit das Gespräch.
Aber schließlich war ich kein Narr. Ich hätte zwar Mateo und einen Trupp Soldaten auf der Suche nach der Leiche in den Dschungel geführt, doch allein ließ ich lieber die Finger davon. Stattdessen schlenderte ich die Straße entlang und trat nach Steinen, als ich vor mir den naualli bemerkte. Er und ein anderer Mann lagerten ein paar Minuten Fußweg von uns entfernt. Ich schlug mich in die Büsche und fand eine Stelle, wo ich mich setzen und sie beobachten konnte.
Nachdem die beiden Männer ihr Lager verlassen hatten und ins Dorf gegangen waren, kam ich aus meinem Versteck und folgte ihnen langsam. Da sah ich ein in eine Indiodecke gewickeltes und mit einem Seil verschnürtes Bündel auf dem Boden liegen.
Das Bündel bewegte sich!
Eigentlich wollte ich weitergehen und blickte starr geradeaus. Doch meine Beine gehorchten mir nicht, denn ich wusste, dass der Zwerg in diesem Bündel steckte. Also nahm ich allen Mut zusammen, machte kehrt, eilte zurück und zog mein Messer.
Ich kauerte mich auf den
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