Das Blut der Azteken
verloren. Bald jedoch sollte ich herausfinden, warum der gelehrte Don sich lieber von seiner aufbrausenden Gattin fern hielt.
Don Julios Hacienda erstreckte sich einen Tagesritt weit in alle vier Himmelsrichtungen, war allerdings nicht sehr fruchtbar, obwohl sie von einem Fluss durchquert wurde, der ganzjährig Wasser führte. An den Ufern wurden Weizen, Mais, Bohnen, Paprika und Kürbisse angebaut. In den trockeneren Gebieten wuchsen Agaven zur Herstellung von pulque sowie andere Feldfrüchte, die für den Bedarf der Indios bestimmt waren. Das Vieh graste, wo es etwas zu fressen fand. Man züchtete die Rinder hauptsächlich wegen des Leders, da es sich nicht lohnte, das Fleisch - selbst wenn man es pökelte - über größere Entfernungen zu transportieren. Für die täglichen Mahlzeiten wurden Hühner und Schweine gehalten, und man ging zudem auf die Jagd nach Hirschen und Hasen.
Das Haupthaus stand auf einem Hügel, der die Form einer Mönchstonsur hatte. Am Fuß des Hügels befand sich ein kleines, aus etwa sechzig Lehmhütten bestehendes Indiodorf. Sklaven gab es auf dem Gut nicht.
»Die Sklaverei ist eine Schande«, erwiderte Don Julio, als ich ihn fragte, warum er keine Sklaven besaß. »Es beschämt mich, dass meine portugiesischen Landsleute im Sklavenhandel führend sind. Sie jagen die armen Afrikaner, als wären sie Tiere, und verkaufen sie an die Meistbietenden. Viele Sklavenhalter sind grausame, böse Leute, denen es Freude macht, Eigentümer eines anderen Menschen zu sein und dem armen Teufel Leid zuzufügen. Viele dieser Männer liegen bei ihren Sklavinnen, ja, sogar bei den Töchtern, die sie selbst gezeugt haben, ohne je einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie Vergewaltigung und Inzest begehen.«
Auf den Straßen von Veracruz und während meiner Besuche auf den Zuckerrohrplantagen mit Bruder Antonio hatte ich oft genug miterlebt, wie mit Sklaven umgesprungen wurde. Außerdem erinnerte ich mich noch gut an den Tag, an dem ich den Sklaven Yanga befreit und so vor der Kastration gerettet hatte.
Einmal im Monat kam ein Priester, um in der kleinen Dorfkirche am Fuß des Hügels den Gottesdienst abzuhalten. Nachdem Mateo den Priester kennen gelernt hatte, spuckte er auf den Boden.
»Viele tapfere Geistliche haben den Indios Gott und die Zivilisation gebracht. Für diesen Priester hingegen gibt es nur Himmel und Hölle und nichts dazwischen. Im Kopf dieses Narren ist der kleinste Verstoß, und sei er auch noch so unbedeutend, eine Todsünde. Hinter jeder Ecke wittert er Dämonen und Teufel. Er würde seinen eigenen Bruder an die Inquisition verraten, falls der einmal die Beichte verpassen sollte.«
Ich verstand Mateos Vorbehalt, denn ein Blick auf ihn hatte dem Priester genügt, um sich zu bekreuzigen und einige Ave Marias zu murmeln, als hätte er den Leibhaftigen gesehen. Mehr noch, ich teilte Mateos Ansicht, was den Priester betraf. Während der Beichte hatte er mich als converso bezeichnet, da er natürlich glaubte, dass ich als Don Julios Vetter jüdischer Abstammung war. Selbstverständlich beichtete ich nichts von Bedeutung, sondern dachte mir ein paar lässliche Sünden aus, damit er mir die Absolution erteilen konnte. Diese Notlügen, die mir Gott sicher verzeihen wird, waren nötig, weil Don Julio darauf bestand, dass Mateo und ich regelmäßig zur Kirche gingen. Niemand sollte ihm vorwerfen können, dass auf seiner Hacienda Gottlosigkeit herrschte.
2
Jeden Tag ritten einige Männer des Dorfes aus, um nach dem Vieh zu sehen, oder machten sich zu Fuß auf den Weg zur Arbeit in den Feldern. Manche Frauen blieben im Dorf, versorgten die Kinder und backten Tortillas, während andere im Haupthaus kochten und putzten. Mateo wurde Aufseher über die indianischen Viehhirten. Ich lernte, wie man Vieh hütete, und wusste nach einer schmerzhaften Lektion auch, dass man um Bullen, die eine Kuh verfolgten, besser einen Bogen macht.
Die Bewohner von Mexiko-Stadt, ja, sogar von Veracruz, verließen sich darauf, dass der Vizekönig und seine Armee die Ordnung aufrechterhielten. Allerdings reichte der Arm des Vizekönigs nicht bis in die Provinz, weshalb die Großgrundbesitzer sich selbst schützen mussten. Haciendas waren nicht nur Wohnhäuser, sondern gleichzeitig Festungen. Ihre Mauern bestanden aus den gleichen Lehmziegeln wie die Indiohütten, waren aber um ein Vielfaches dicker und höher. Zur Abwehr von Banditen mussten die Mauern so stark sein, dass eine Musketenkugel sie nicht durchdringen
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