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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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gelockt hatte, stand ein Stück über mir auf dem Hügel. Als ich aufschaute, drehte sie sich rasch um, sodass ich nur einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte.
    »Wir müssen miteinander reden!«, rief ich.
    Ich folgte ihr. Wir hatten nach dem Verschwinden des naualli nach ihr gesucht, sie aber nicht finden können. Als ich ihr nacheilte, war ich fest entschlossen, mich nicht mehr in einen Hinterhalt locken zu lassen. Wenn sie im Wald verschwand, wollte ich zurück zum Lager laufen und Mateo holen - falls er da war.
    Ich war erst wenige Meter weit gekommen, als sie stehen blieb. Während ich mich näherte, hielt sie mir den Rücken zugewandt. Und als sie sich umdrehte, sah ich kein junges Mädchen vor mir, sondern eine Teufelsfratze. Der naualli hatte ihr Gesicht gehäutet, sich die Haut übergestreift und dazu ihre Kleider angezogen.
    Er stieß einen wilden Kampfschrei aus und griff mich mit hoch erhobenem Messer an, an dem noch das Blut des Mädchens klebte.
    Auch ich zog das Messer, obwohl ich wusste, dass ich kaum eine Chance hatte. Meine Klinge war viel kleiner, und er hatte sich in eine rasende Mordlust hineingesteigert. Ich wich zurück und holte mit dem Messer aus, um mich zu wehren. Ich war zwar größer als er und hatte längere Arme, doch er war in seiner Wut nicht zu bremsen. Wild fuchtelte er mit dem Messer herum, und es kümmerte ihn nicht, ob ich ihn verletzte. Als sein Messer mir den Unterarm aufschlitzte, geriet ich ins Taumeln und stürzte in eine kleine Felsspalte. Mein Rücken schrammte scharfkantiges Gestein entlang, und ich schlug mir den Kopf auf.
    Allerdings hatte mir der Fall das Leben gerettet, da der Wahnsinnige mich nun nicht mehr erreichen konnte. Er stand am Rand der Felsspalte, stieß einen markerschütternden Schrei aus und hob sein Messer, um sich auf mich zu stürzen.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Auch der naualli hatte sie bemerkt und wirbelte mit dem gezücktem Messer herum.
    Der Zauberer kam auf den naualli zu. Er schwenkte eine große, grellgrüne Feder.
    Erschrocken schnappte ich nach Luft und rief dem Zauberer zu, er solle stehen bleiben. Nur mit einer Feder bewaffnet, war der alte Mann diesem Dämon mit dem Messer hoffnungslos unterlegen. Ich kletterte aus der Felsspalte, um den Zauberer zu warnen.
    Da meine Bewegungen viel zu hastig waren, rutschte ich beim Klettern immer wieder ab. Als der Zauberer seine Feder schwenkte, griff der naualli ihn mit dem Messer an. Das Messer traf den Zauberer im Leib und versank bis zum Heft darin.
    Eine Weile standen die beiden alten Männer reglos da wie zwei Statuen und hielten einander fest. Der Zauberer mit der Feder in der Hand, der naualli umfasste das Heft des Messers. Dann trennten sie sich langsam. Der Zauberer sank in die Knie, der naualli wich zurück.
    Endlich hatte ich mich aus der Felsspalte befreit. Ich wollte mich auf den naualli stürzen, aber plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte ihn entgeistert an. Anstatt Kampfposition einzunehmen, tänzelte er davon, riss sich das Mädchengesicht ab und sprang, fröhlich lächelnd, herum.
    Dann hob er wieder das Messer und stieß es sich selbst ins Herz. Nun wurde mir klar, warum der Zauberer die Feder vor dem Gesicht des Mannes geschwenkt hatte. Vermutlich hatte er sie mit irgendeinem Betäubungsmittel präpariert.
    Der Zauberer lag auf dem Rücken. Sein Hemd war blutig. Voller Trauer kniete ich mich neben ihn. »Ich hole Hilfe«, sagte ich, aber ich wusste, dass es zwecklos war.
    »Nein, mein Sohn, bleib bei mir. Es ist zu spät. Heute Morgen habe ich den Ruf des uactli gehört, des Todesvogels.«
    »Nein…«
    »Ich werde jetzt zu meinen Ahnen zurückkehren. Ich bin alt und müde und habe eine lange Reise hinter mir.« Er wurde Zusehens schwächer und hauchte seinen Atem aus, während ich ihn weinend in den Armen hielt.
    Er hatte mir einmal erzählt, er käme von den Sternen. Ich glaubte ihm. Er hatte etwas an sich, das nicht von dieser Welt war.
    Wie Bruder Antonio war er wie ein Vater zu mir gewesen. Und als sein Sohn war es meine Pflicht, ihn für die letzte Reise vorzubereiten.
    Ich musste ihn liegen lassen, um Hilfe zu holen, denn ich konnte ihn nicht allein an den Ort schaffen, wo ich ihn bestatten wollte. Als ich ins Lager zurückkehrte, wurde ich von Don Julio und Mateo erwartet.
    »Ein Indio hat mir eine Botschaft gebracht«, sagte Don Julio. »Der Zauberer habe ihn vor einigen Tagen geschickt. Die Botschaft lautete, der naualli

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