Das Blut der Azteken
habe versucht, dich anzugreifen, und sei dabei ums Leben gekommen. Als ich ankam, musste ich feststellen, dass Mateo nichts davon wusste.«
»Weil es gerade erst geschehen ist«, erwiderte ich. Ich erzähle ihnen von dem Kampf mit dem naualli und der Feder, die den Magier ›getötet‹ hatte.
»Woher wusste der Mann von dem Kampf, bevor er stattgefunden hat?«, fragte Mateo.
Ich zuckte die Achseln und lächelte traurig. »Die Vögel haben es ihm verraten.«
Der Zauberer würde nicht nach Mictlán, in die Unterwelt, kommen. Er war als Krieger im Kampf gefallen und würde deshalb ins Paradies des östlichen Himmels eingehen.
Mit der Hilfe des Traumdeuters bereitete ich den Leichnam des Zauberers vor. Ich hüllte ihn in seine besten Kleider und schmückte ihn mit seinem Umhang aus kostbaren Federn und seiner geheimnisvollen Kopfbedeckung. Dann schichtete ich einen großen Scheiterhaufen auf und legte die Leiche des Zauberers darauf. Daneben ordnete ich Mais, Bohnen und Kakaobohnen als Proviant für seine Reise in den östlichen Himmel an.
Nachdem alles fertig war, entzündete ich das Holz und stand da, während die Flammen lodernd emporschlugen. Das Feuer brannte, und Rauch erhob sich in die Nacht. Ich blieb, bis das letzte Rauchfähnchen, der letzte Rest der Seele des Zauberers, zu den Sternen aufgestiegen war.
Am Morgen kamen Don Julio und Mateo zur Begräbnisstätte. Mateo führte ein Pferd am Zügel, das ich auf Don Julios Wunsch reiten sollte.
»Du kommst mit«, sagte der Don. »Du warst ein Dieb und ein Lügner, ein junger Gauner und allzu erfahren, was die menschlichen Laster angeht. Jetzt ist es Zeit, dass du dein Leben änderst und ein Ehrenmann wirst. Steig auf, Don Cristo. Jetzt lernst du, ein Caballero zu werden.«
IV
Ich schwamm zwar in einem Meer der Gelehrsamkeit, lebte aber dennoch in einer Welt voller Unwissenheit und Angst.
Cristo el Bastardo
1
So begann also mein nächster Lebensabschnitt, in dem die schrundige Seele eines Straßenjungen in die eines spanischen Edelmannes verwandelt werden sollte.
»Du wirst lernen, wie man auf einem Pferd reitet, mit einem Schwert kämpft, eine Muskete abfeuert, mit einer Gabel isst und mit einer Dame tanzt«, verkündete Don Julio. »Vielleicht kannst du mir ja auch etwas beibringen, aber hoffentlich nichts, was dazu führt, dass man meinen Kopf am Stadttor auf einen Pfahl steckt.«
Mein Lehrer sollte kein anderer sein als der Mann, der sich damit brüstete, hundert Männer getötet, tausend Frauen geliebt, Burgmauern gestürmt, die Decks von Schiffen in Blut getaucht und außerdem Balladen und Theaterstücke geschrieben zu haben, die erwachsene Männer zu Tränen rührten.
Allerdings war Mateo nicht eben begeistert von seiner neuen Aufgabe. Wir beide wurden auf die Hacienda des Don verbannt und durften keinen Fuß in die Hauptstadt setzen. Offenbar vertrat der Don die Auffassung, dass wir noch nicht gesellschaftsfähig waren.
Don Julios weitere Beweggründe waren uns hingegen rätselhaft. Warum Mateo auf der Hacienda bleiben musste, war leicht zu erklären: Es war zu gefährlich für ihn, sich in der Hauptstadt zu zeigen, da sich der Richter, der ihn hängen lassen wollte, noch im Amt befand. Doch warum Don Julio mich ebenfalls auf die Hacienda schickte und mich als seinen Vetter ausgab, vermochte ich nicht zu beantworten.
»Anscheinend mag er dich«, mutmaßte Mateo. »Als converso hat Don Julio viel durchgemacht. Und er sieht dich eindeutig nicht als den verlogenen, diebischen lépero, der du meiner Ansicht nach bist.«
Aber wir beide hatten auch den Verdacht, dass der Don noch andere Ziele verfolgte, als uns für unsere Mithilfe bei der Zerschlagung der Jaguarritter zu belohnen. Wir fragten uns, ob er vielleicht einen Auftrag für uns hatte, der so gefährlich war, dass niemand wissen durfte, wer wir in Wirklichkeit waren.
Don Julio besaß zwei große Häuser. Eines davon auf einer Hacienda, etwa zweihundertfünfzig Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, das andere in der Stadt selbst. Ich erfuhr, dass er, wenn er nicht auf Reisen war, den Großteil seiner Zeit auf der Hacienda verbrachte, während seine Frau sich in der Stadt aufhielt.
Nur wenige Großgrundbesitzer bewohnten ihre riesigen Landgüter. Die meisten residierten wie Don Julios Frau in Mexiko-Stadt und genossen die Freuden und Annehmlichkeiten dieser bedeutenden Metropole. Über das seltsame Eheleben von Don Julio und seiner Frau, die einander nur selten sahen, wurde nie ein Wort
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