Das Blut der Azteken
uns dem Zentrum der Stadt näherten, desto dichter wurde das Gewühl. Es schienen hauptsächlich Indios unterwegs zu sein, die Obst, Gemüse und handgefertigte Gebrauchsgegenstände bei sich trugen. Als die Indios die Brücke erreichten, wurden sie von einigen Afrikanern und Mulatten neben die Straße dirigiert, wo die Waren aufgestapelt und überprüft wurden. Ein Indio, der einen großen Sack mit Mais auf dem Rücken trug, wollte sich an den Männern vorbeimogeln, doch er wurde grob zu den anderen an den Straßenrand gestoßen.
Ich fragte Joaquín, was das zu bedeuten hatte. »Recontonería.«
Dieses Wort kannte ich nicht.
»Die Afrikaner kaufen den Indios das Obst und Gemüse ab und verkaufen es in der Stadt für den doppelten oder dreifachen Preis.«
»Warum tun die Indios das denn nicht selbst?«
»Wer sich gegen die Recontonería auflehnt, treibt morgen tot in einem Kanal. Alle Geschäftsleute, die Bäcker und die Wirte, kaufen bei ihnen. Einige Indios versuchen, die Waren mit Kanus in die Stadt zu bringen, doch nur wenige schaffen es, sich an den Booten der Recontonería vorbeizuschleichen.«
Diese Banditen und Piraten plünderten die Indios durch rohe Gewalt aus. Ich war empört. »Warum unternimmt der Vizekönig nichts gegen die schändlichen Zustände? Auf diese Weise werden nicht nur die Indios betrogen, sondern auch die Lebensmittelpreise für alle erhöht. Ich werde mich persönlich beim Vizekönig beschweren.«
»Jeder weiß Bescheid, aber niemand schreitet ein, nicht einmal der Vizekönig.«
»Warum denn nicht? Ein paar Soldaten mit Musketen…«
Joaquín betrachtete mich mit einem nachsichtigen Schmunzeln. Mir wurde klar, wie unsinnig meine Bemerkung war.
»Niemand tut etwas dagegen, weil außer den Afrikanern auch noch andere Leute daran verdienen, Personen von so hohem Stand, dass der Vizekönig ihr Treiben duldet.«
Der Spanier in mir wusste, dass meine Landsleute es niemals zulassen würden, dass Afrikaner und ihresgleichen zu Geld kamen. Bestimmt waren viele der Schwarzen, die sich an diesem Treiben beteiligten, keine freien Männer, sondern Sklaven, die morgens das Haus ihres Herrn verließen und abends, die Taschen voller Geld, zurückkamen. Ganz sicher profitierten nur ihre Besitzer davon.
Die Indios hassten und fürchteten die Afrikaner, weil die Spanier die Schwarzen benutzten, um sie einzuschüchtern.
»Ein Jammer«, meinte ich zu Joaquín, »dass Indios und Afrikaner sich nicht zusammenschließen, obwohl sie beide unter den Spaniern zu leiden haben.«
Joaquín zuckte die Achseln. »Es spielt keine Rolle für uns, wer unser Land, unsere Frauen und unser Geld stiehlt. Tatsache bleibt, dass alles futsch ist, richtig, Señor?«
11
Als wir die Brücke überquerten, schlug mein Herz schneller. Nun war ich also in der größten Stadt der Neuen Welt. Die Straße vor mir war ein Feuerwerk aus Menschen, Geräuschen und Farben.
Elegante Frauen in silbernen und goldenen Kleidern fuhren in Kutschen, derer sich auch eine Herzogin in Madrid nicht geschämt hätte. Caballeros ritten auf edlen, temperamentvollen Pferden vorbei. Silberne Sporen und Mundstücke klapperten, und Joaquín erzählte mir, dass oft sogar die Hufeisen aus Silber bestanden.
In Mexiko-Stadt gab es vier Dinge, deren Anblick sich angeblich lohnte: die Frauen, die Kleider, die Pferde und die Kutschen. Das hatte ich schon oft gehört, und nun verstand ich, dass es sich nicht um ein Ammenmärchen handelte. Allerdings waren all dieser Pomp und Prunk nicht immer ein Zeichen für gute Erziehung.
Mateo, der selbst nichts gegen Luxus einzuwenden hatte, pflegte zu sagen, jeder Schuster und jeder Maultiertreiber hier schwöre, aus einer adeligen spanischen Familie zu stammen, in deren Adern das Blut der Conquistadores flösse, und beharre trotz seiner beklagenswerten Umstände und seines fadenscheinigen Mantels auf die respektvolle Anrede Don. Falls all diese Leute die Wahrheit sagten, fuhr Mateo fort, hätte es in Neuspanien mehr Edelmänner geben müssen als adelige Familien im Mutterland.
Mönche schlurften schwitzend in ihren grauen, schwarzen und braunen Kutten dahin, während hohe Herren mit stolzgeschwellter Brust, riesige Federhüte auf dem Kopf, einherschritten und ihre mit Silber und Perlen geschmückten Schwerter trugen wie Ehrenzeichen. Damen in Reifröcken, die Gesichter dick mit französischem Puder bestäubt und die Lippen hellrot geschminkt, trippelten auf hochhackigen Schuhen über das Kopfsteinpflaster.
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