Das Blut der Azteken
mir mit der Spitze seines Dolches auf die Brust. »Nun können wir nur noch hoffen, Bastardo, dass man sich beim Bau des Tunnels auch wirklich an Don Julios Pläne gehalten hat.«
»Glaubst du, es wurde bei den Arbeiten geschlampt?«
»Bis jetzt glaube ich noch gar nichts. Allerdings leben wir in einem Land, in dem öffentliche Ämter an den Meistbietenden verkauft werden. Durch Bestechung kann man sich alle möglichen Vorteile bei Regierungsbeamten verschaffen. Wenn der Tunnel versagt und die Stadt schwere Schäden davonträgt, werden der Vizekönig und seine Untergebenen die Verantwortung zurückweisen. Und wem könnte man besser die Schuld in die Schuhe schieben als einem converso ?«
Zwei Wochen nach Don Julios und Mateos Aufbruch machte ich mich, zu Pferde und an der Spitze einer Maultierkarawane, auf den Weg in die Stadt. In meiner Ungeduld hatte ich die Dienstboten beim Packen zur Eile angetrieben. Doch während ich mit der Behändigkeit eines Jaguars herumsprang, trödelte Inez wie ein Verurteilter auf dem Weg zum Schafott. Die Vorstellung, mit Isabella unter einem Dach leben zu müssen, behagte ihr gar nicht, und sie hätte die Hacienda am liebsten nicht verlassen. Aber trotz der treuen Dienerschaft fürchtete der Don um die Sicherheit der beiden spanischen Frauen und wollte deshalb nicht, dass sie allein zurückblieben.
»Lieber würde ich mich von Banditen meucheln lassen, als mit dieser Frau in einem Haus zu schlafen«, verkündete Inez.
Ich hingegen hätte sogar mit dem Teufel die Unterkunft geteilt, wenn ich dafür nur die Gelegenheit bekam, Mexiko zu sehen.
Ich hetzte Inez und Juana beim Packen, auch wenn die Schwester des Don immer wieder einen neuen Grund für Verzögerungen fand. Endlich waren die beiden fertig, und es konnte losgehen. Seit drei Jahren war ich nun schon auf der Hacienda. Ich konnte reiten und schießen und ein Schwert, ja, sogar eine Gabel benutzen. Ich hatte nicht nur gelernt, wie man Rinder hütete, sondern auch etwas über das Wunder erfahren, was es bedeutete, dass Sonne und Wasser das Land zum Erblühen bringen.
Nun sollte ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Was hielten die Götter diesmal für mich bereit?
10
Zuerst erblickte ich die große Stadt vom Gipfel eines entfernten Hügels aus. Schimmernd lag sie auf einem See wie ein kostbarer Edelstein am Busen einer Frau.
Obwohl die Türme und Tempel, die unter uns lagen, nicht von den Azteken erbaut worden waren, handelte es sich dennoch um Weltwunder - zumindest für mich, der ich bis jetzt nur einen kleinen Teil der Welt gesehen hatte. Mateo, der angeblich in der Hälfte der bedeutenden Metropolen Europas geliebt und gekämpft hatte, behauptete, Mexiko-Stadt könnte im Vergleich mit ihnen jederzeit bestehen. Es gab hier Kirchen und Paläste, Wohnhäuser, die so groß waren, dass das Haupthaus der Hacienda in ihren Garten gepasst hätte, breite Straßen, Kanäle, grüne Felder und viele Seen. Selbst in den kleineren Straßen hätten drei Kutschen leicht nebeneinander herfahren können.
Im Herzen der Stadt erkannte ich einen großen Platz, der, wie ich wusste, Zócalo hieß und der Mittelpunkt von Mexiko war. Dort befanden sich prächtige Gebäude wie der Palast des Vizekönigs und die Kathedrale, an der noch gebaut wurde.
Die Kanäle sahen aus, als hätte ein Künstler, dem Gott die Hand führte, sie gemalt. Auf dem See und den Kanälen wimmelte es von Booten und Schiffen, die die Stadt versorgten. Auf den breiten Straßen herrschte ein reger Verkehr von Kutschen, Sänften, Reitern und Fußgängern.
Joaquín, ein Indio und Don Julios Kammerdiener, begleitete uns. Er wies auf den Hauptplatz. »Hier findet der größte Markt statt. Neben der Kirche und dem Palast des Vizekönigs gibt es viele Läden. Die Prunkvillen der Adligen und der reichen Kaufleute stehen in den Seitenstraßen.«
Er deutete auf eine große Wiese unweit der Plaza.
»Die Alameda. Am Nachmittag ziehen die Damen ihre besten Kleider an und fahren dort in Kutschen umher. Die Herren putzen sich heraus und reiten auf ihren edelsten Pferden die Alameda hinauf und hinunter. Häufig ziehen Männer hier das Schwert.« Er beugte sich zu mir hinüber und flüsterte mir zu: »Und die Damen lupfen die Röcke.«
Nun wusste ich, wo ich Mateo finden würde, wenn er uns bei unserer Ankunft nicht im Haus des Don erwartete.
Wir reihten uns in den Verkehr auf einer Hauptstraße ein; diese mündete in eine Brücke, die über den See in die Stadt führte. Je mehr wir
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