Das Blut der Azteken
Heiden das Kreuz bringen wollte, habe ich das große Meer überquert.«
Wie jeder Monolog von Mateo dauerte auch dieser so lange, dass mir allmählich die Augen zufielen. Ich hatte darauf bestanden, zwischen seinen ausufernden Ansprachen ein wenig Handlung einzufügen, und zu meiner Erleichterung erschienen nun drei Kriegskanus der Indios - mehr hatte ich mir nicht leisten können - in der Lagune. Die Schlacht begann. Die hölzernen Kanonen auf Cortés' Schiff stießen Rauchwolken aus Schwarzpulver aus. Weiteres Schwarzpulver wurde an Bord entzündet, um Lärm und Nebel zu erzeugen. Ein Mann, der sich hinter einer Decke versteckte, schlug auf eine große Trommel und ahmte so das Donnern von Kanonen und Musketen nach. Pfeile flogen durch die Luft. Die Indios brüllten Beschimpfungen und hieben mit Holzspeeren auf die Spanier ein, während die vier Eroberer sich nach Kräften verteidigten. Der zusätzlichen Wirkung wegen hatten wir einige mit Pech bestochene Holzstücke angezündet, die nun rings um die Boote schwammen.
Die Indios gingen ›Cortés‹ und seine Männer, die sich nach Leibeskräften wehrten, überraschend heftig an. Entsetzt sah ich zu, wie sich die Schlacht in eine echte Prügelei verwandelte. Ein Eroberer wurde aus dem Schiff gezerrt, landete im Wasser und kam kaum mit dem Leben davon, als die Indios versuchten, ihn wie einen Fisch mit dem Speer aufzuspießen.
Noch ein Spanier fiel ins Wasser. Die Indios in den Kanus jubelten lautstark und stürzten sich dann auf die Männer in dem nachgebauten Kriegsschiff.
Was für ein Schock! Mit dieser Katastrophe hatte ich nicht gerechnet. Rauch, Feuer, Gebrüll und das Klappern von Schwertern und Speeren hatten doch nur dazu dienen sollen, den
Eindruck eines tatsächlichen Kampfes zu erwecken - und nun war blutiger Ernst daraus geworden!
Fluchtbereit umklammerte ich meine Geldbörse. Aber ich blieb wie angewurzelt stehen und sah zu, wie all die Arbeit, die ich in die Vorbereitungen des Stückes gesteckt hatte, von der blinden Wut der Indios und Spanier zunichte gemacht wurde. Offenbar hatten sie vergessen, dass es nur ein Theaterstück war.
Einer der Eroberer wurde mit einem Speer bewusstlos geschlagen und vom Kriegsschiff gezerrt. Die Indios kletterten in Scharen die Schiffswand hinauf. Nur Mateo stand noch auf den Füßen. Die Angreifer stürzten sich auf Doña Marina und rissen ihr das Kleid vom Leibe.
Da kam mir ein schrecklicher Gedanke: Die Indios werden gewinnen!
In diesem Fall würde man Mateo nicht nur ausbuhen und sich keinesfalls damit begnügen, mir, dem Kartenverkäufer, das Geld abzunehmen. Stattdessen würden uns die Zuschauer eigenhändig in Stücke reißen.
Ich hielt Ausschau nach dem Vertreter der Inquisition, der mit einer Kopie des Textes dasaß, um sicherzugehen, dass der Dialog nicht von der genehmigten Version abwich. Wenn er aufsprang und die Aufführung abbrach, würde es einen Tumult wegen des Eintrittsgeldes geben.
Plötzlich jedoch schien Mateo-Cortés überall zugleich zu sein. Sein Schwert blitzte auf. Einer nach dem anderen sprangen die Indios über Bord ins Wasser. Als alle Gegner vom Schiff verschwunden waren, machte Mateo einen Satz in eines der Kanus und drosch auf die darin sitzenden Indios ein. Dann befahl er denen, die noch übrig waren, ihn und die halb nackte Doña Marina in ihrem Kanu ans Ufer zu rudern. Das Schwert in der einen und das Kreuz in der anderen Hand trat er ans Ufer. Das Kreuz war blutig, weil er es einem Indio über den Kopf geschlagen und dabei zerbrochen hatte.
Die Zuschauer jubelten und klatschten stehend Beifall.
Wir hatten ein etwa zwei Meter hohes Modell des großen Tempels für den Kriegsgott in Tenochtitlán gebaut und mit roter Farbe beschmiert, um das Opferblut darzustellen. Mateo-Cortés stieg die Stufen hinauf, blieb oben stehen und reckte Schwert und Kreuz empor. Dann hielt er eine bewegende Ansprache über den Ruhm Gottes und Spaniens, das durch die Reichtümer der Neuen Welt und den Mut der Kolonisten zum mächtigsten Land der Erde geworden sei.
Das Publikum geriet außer Rand und Band und applaudierte wie wild.
Mateo hatte sein Rollenfach gefunden; er brauchte Stücke, in denen sich etwas tat, denn er hatte kein Talent dafür, auf einer Bühne zu stehen und mit den anderen Schauspielern und den Zuschauern Dialoge zu führen. Doch wenn man ihm ein Schwert in die Hand drückte und ihm einen Feind vorsetzte, wurde er… er selbst… ein Mann mit dem Mut eines Löwen und der
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