Das Blut der Azteken
darum, bewusstlos zu werden, um nicht miterleben zu müssen, welche Schrecken meine Familie durchlitt. Ich konnte zwar die Augen abwenden, doch meine Hände waren gefesselt, sodass es unmöglich war, sich die Ohren zuzuhalten. Außerdem stand mein Pfosten dem Scheiterhaufen am nächsten, weshalb ich gezwungen sein würde, alles zu hören.
Manchmal schwanden mir fast die Sinne, wenn die Peitsche mich traf. Gelegentlich geschah es, dass Männer und Frauen bei einer Auspeitschung ums Leben kamen. Doch einige Zuschauer brüllten, man ginge zu schonend mit mir um, da die Haut an meinem Rücken nach hundert Peitschenhieben noch verhältnismäßig unversehrt war. Offenbar hatte Elénas Mildtätigkeit sich auch auf die Hand erstreckt, die die Peitsche führte. Allerdings wäre ich lieber gestorben, als Zeuge dieses Grauens zu werden.
Don Julio stieg vom Karren und ging zum Scheiterhaufen. Die blutrünstige Menge johlte, als ob jeder der vielen tausend Menschen, die sich hier versammelt hatten, vom Don persönlich geschädigt worden wäre. Ohne auf den Tumult zu achten, schritt der Don weiter, wie ein König auf dem Weg zu seiner Krönung.
Plötzlich fiel mir ein, woran dieses grausige Spektakel mich erinnerte. Als ich unter Bruder Antonios Anleitung die Klassiker gelesen hatte, wurde ich mit den blutigen Schauspielen in der Arena vertraut, die die Kaiser veranstalteten, um das Volk zu amüsieren und ruhig zu stellen. Auch die Menschenopfer der Azteken hatten den Zweck erfüllt, die Leute zu unterhalten. Der Mensch hatte sich an all den Tausenden von Jahren nicht geändert, er war noch immer ein wildes Tier.
Inez musste beim Gehen gestützt werden. Zunächst war ich nicht sicher, ob das an ihrer körperlichen Schwäche oder an einem Nachlassen ihrer Entschlossenheit lag. Doch als ich ihre tapfere, furchtlose Miene sah, wusste ich, dass allein die Erschöpfung der Grund war. Der Mut stand ihr ins Gesicht geschrieben. Als ich ihr bewundernd etwas zurief, sauste wieder die Peitsche auf meinen Rücken hinab.
Juanas Anblick war mehr, als ich ertragen konnte. Sie war so zierlich, dass ein Wachmann genügte, um sie auf die Arme zu nehmen und sie zu ihrem ›Ehrenplatz‹ zu tragen. Ein Raunen ging durch die Menge, und viele wandten sich ab, um sie nicht ansehen zu müssen.
Da auch ich mich umdrehte, kenne ich den Rest nur aus Erzählungen. An jedem Pfosten war ein dünner Draht angebracht, der hinten mit einem hölzernen Griff versehen war. Wenn der Verurteilte bereute, legte der Henker ihm den Draht um den Hals und drehte den Griff so lange um, bis er das Opfer erdrosselt hatte.
Allerdings kam dieser Gnadenakt nur reumütigen Sündern zugute. Ausgeführt wurde er stets von den Männern des Vizekönigs, nicht von den Geistlichen, weil ein Priester angeblich nicht töten dürfe - das behaupteten sie wenigstens.
Da Don Julio und Inez sich weigerten zu bereuen, blieb ihnen die Gnade verwehrt. Man berichtete mir, auch Juana habe abgelehnt, doch ihre Not habe das schwarze Herz des Henkers so erweicht, dass er sie dennoch erdrosselte, um ihr das langsame, qualvolle Sterben in den Flammen zu ersparen. Von anderer Seite erfuhr ich, ein reicher Gönner unter den Zuschauern habe dem Henker einige Golddukaten zugesteckt, damit Juana nicht zu lange leiden musste.
Ich hörte, wie das Feuer angezündet wurde, das Knistern des Zündschwamms und des Reisigs und schließlich die lodernden Flammen. Keuchen und Schreie drangen an mein Ohr. Ich roch verbranntes Fleisch und hörte das abscheuliche Brodeln aufplatzender Blasen und spritzenden Fetts. Und ich versuchte, die grausigen Geräusche zu übertönen, indem ich immer wieder dasselbe Wort vor mich hinmurmelte:
Rache, Rache, Rache…
V
… hervorgebracht in irgendeinem Gefängnis, wo das Elend haust und wo die Wehklage wohnt…
Miguel de Cervantes, Don Quijote
1
Ich reiste nicht auf dem Rücken eines edlen Pferdes in die Bergwerke, sondern angekettet auf dem Bretterboden eines von Maultieren gezogenen Gefangenentransports. Meinen Schlafplatz teilte ich mit einem Schicksalsgenossen, der beim Autodafe wegen Sodomie zu hundert Peitschenhieben und zwei Jahren in den Silberminen verurteilt worden war. Ich hatte eine lebenslängliche Strafe erhalten. Doch da ohnehin nur wenige Gefangene mehr als ein Jahr im Bergwerk überlebten, spielte das keine große Rolle.
Als ich zum Gefangenentransport geführt wurde, winkte ich Mateo zum Abschied zu. Bald würde auch er das Gefängnis der
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