Das Blut der Azteken
Welche Schandtaten hatte mein Namenspatron Don Carlos noch begangen? Eine Verhaftung vermeiden? Das Geld zurückzahlen und die Ehre des Mädchens wiederherstellen? Für sie und ihr Kind sorgen?
Bei meinen Gesprächen mit Miguel de Soto hatte ich bereits festgestellt, dass ihm die Geheimnisse anderer Leute über die Lippen plätscherten wie Wasser über einen Stein. Inzwischen wusste sicher die ganze Stadt, dass ich meine Geschichte von der Tochter des Schweinezüchters nur erfunden hatte, um meine Sünden zu vertuschen.
Es war zum Aus-der-Haut-Fahren! Warum hatte ich mich nur nicht an mein ursprünglich geplantes Märchen gehalten? Stattdessen war ich nun in die Rolle eines Verbrechers geschlüpft, eines Mannes, der offenbar ein Dieb und ein Frauenschänder war. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich nach Kräften bemüht, ein ehrlicher Mensch und ein feiner Herr zu werden. Und nun hatte sich der Kreis wieder geschlossen: Ich war zwar ein Herr -aber den Dieb wurde ich einfach nicht los.
Ich kehrte in den Gasthof zurück, um mich vor der Begegnung mit dem Vizekönig noch ein wenig auszuruhen. Inzwischen war Eléna gewiss wieder in der Stadt. Hatte sie die Geschichte von der Tochter des Schweinezüchters ebenfalls gehört? Ich hatte ihr von meiner Sorge um meine Frau und meine Kinder erzählt. Nun wusste sie, dass ich sie nicht nur belogen hatte, sondern darüber hinaus noch ein Schürzenjäger war, der rücksichtslos mit Frauen umsprang.
Wie gerne wäre ich kein Held gewesen und unbemerkt in die Stadt gekommen. Stattdessen würden nun alle über mich sprechen, und die feinen Herrschaften würden erörtern, ob man mich nun belobigen oder aufhängen sollte. Außerdem konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass mir noch weitere Schwierigkeiten bevorstanden.
Als ich im Gasthof eintraf, empfing mich der Wirt tatsächlich mit einer Schreckensnachricht.
»Euer Bruder ist hier. Er erwartet Euch in Eurem Zimmer.«
Ich bedankte mich höflich. Auf dem Weg die Treppe hinauf setzte ich unwillkürlich einen Fuß vor den anderen, obwohl eine innere Stimme mich zur Flucht drängte. Erst ein alter Freund der Familie und jetzt auch noch der Bruder von Don Carlos. War denn seine gesamte Sippe plötzlich nach Neuspanien ausgewandert?
Auf dem Flur zog ich mein Schwert. Ich hatte zwar nur wenig Lust, das Blut eines Fremden zu vergießen, aber mir blieb nichts anderes übrig. Wenn ich den Bruder nicht tötete, würde er sicher Alarm schlagen. Und dann würden die Soldaten des Vizekönigs die Brücken sperren und mich in Eisen legen.
Ich bemühte mich um Ruhe und atmete tief durch. Dann stürmte ich mit gezücktem Schwert durch die Tür.
Vom Bett aus blickte mir ein Einäugiger entgegen. Er tat sich an einem Weinschlauch gütlich und genoss die Gesellschaft der Mulattin, deren Dienste ich abgelehnt hatte.
»He, Bastarde, leg das Schwert weg. Habe ich dir nicht schon immer gesagt, dass du ein miserabler Fechter bist?«
5
Während Mateo die Hure wegschickte, ließ ich mich auf einem Stuhl nieder und legte die Füße aufs Bett. Er lehnte sich zurück in die Kissen. Sein linkes Auge war mit einer schwarzen Klappe bedeckt.
Bei seinem Anblick schüttelte ich den Kopf. »Und wie heißt die Dame, der du das zu verdanken hast? Margarita? Juanita? Sofia?«
»Diesmal war es die Herzogin.«
»Aha, also ist der Herzog aus dem Krieg zurückgekehrt und hat dich mit seiner Frau, die zu allem Überfluss eine Base der Königin ist, im Bett erwischt.«
»Eine Base des Teufels würde es besser treffen. Kurz nachdem unsere Affäre begann, hat sie nämlich angefangen, dem Herzog anonyme Briefe zu schreiben. Wahrscheinlich glaubte sie, ihn zurückgewinnen zu können, indem sie ihn eifersüchtig machte.«
»Wie schlimm steht es um das Auge?«
»Schlimm? Dem Auge fehlt nichts.« Als er die Klappe anhob und mir die blutrote leere Augenhöhle zeigte, zuckte ich zusammen.
»Dem Auge geht es gut. Ich habe es nur nicht mehr.«
»Ein Schwertkampf?«
»Es war nicht so ehrenhaft. Die Männer des Herzogs hielten mich fest, während er es mir ausstach. Das andere sollte eigentlich auch dran glauben, aber ich konnte mich befreien.«
»Und hast du ihm dafür die Kehle durchgeschnitten?«
»Das nicht, aber er muss jetzt durch einen Strohhalm pinkeln.«
»Gut gemacht. Und wie hast du es geschafft, lebend zu entkommen?«
Er grinste. »Durch meine Geschwindigkeit. Als ich am Hafen ankam, war das letzte Schiff der Schatzflotte schon in See gestochen.
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