Das Blut der Azteken
heftig, doch tief in meinem Herzen konnte ich auf diesen Mann, der mein leiblicher Vater war, nicht wütend sein. Er hatte nichts Bösartiges an sich, und seine größte Sünde bestand offenbar darin, dass er weggeschaut und sich den Übeltätern nicht in den Weg gestellt hatte.
Er lächelte bedrückt. »Wie du an der jämmerlichen Gestalt, die vor dir sitzt, erkennst, ist es nicht einmal dem berühmten Ramón de Alva gelungen, einen anständigen Mann aus mir zu machen. Meine Mutter wollte, dass ich mich für den Duft des Geldes erwärmte, während ich lieber an Rosen schnupperte. Und in den Armen einer Frau fühlte ich mich allemal wohler als im Sattel. Doch ich gehorchte meiner Mutter und begab mich auf der Hacienda unter Ramóns Obhut. Allerdings war es meiner Mutter zu ihrem Entsetzen nicht geglückt, mich von den Versuchungen der Stadt fern zu halten, denn ich hatte sie mitgenommen wie einen alten Koffer. Und diesen Koffer öffnete ich erst, als ich deiner Mutter begegnete.
Zum ersten Mal sah ich Verónica in der Kirche. Als Haciendabesitzer war es meine Pflicht, die Gemeinde vor dem sonntäglichen Gottesdienst zu begrüßen. Ich stand neben dem Dorfpriester, als sie mit ihrer Mutter hereinkam.«
»Und der Dorfpriester war Bruder Antonio.«
»Ja, Bruder Antonio. Der Bruder und ich waren enge Freunde geworden. Wie ich liebte er die Klassiker; ich hatte fast meine gesamte Bibliothek mitgebracht und schenkte ihm einige Bücher.«
»Sie waren mit Euren Initialen gestempelt. Mit Hilfe dieser Bücher hat Bruder Antonio mir Latein beigebracht.«
»Bueno. Ich bin froh, dass sie eine gute Verwendung gefunden haben. Wie ich bereits sagte, stand ich an der Kirchentür, als Verónica hereinkam. Ich blickte in ihre Augen, und das Herz blieb mir stehen.
In der Welt, in der wir leben, werden Ehen aus praktischen Erwägungen geschlossen. Doch unsere Vernunft hat keinen Einfluss darauf, wen wir lieben. Ich war machtlos dagegen und verliebte mich auf den ersten Blick in sie. Dass sie Indigena und ich ein Spanier mit jahrhundertealtem Stammbaum war, spielte keine Rolle. Schließlich vertraute ich mich Ramón an.«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Ramón ermutigte mich, ihr den Hof zu machen. Natürlich nicht auf ehrbare Weise, sondern so, wie sich Spanier für gewöhnlich Indiomädchen gegenüber verhalten, die sie nur als Lustobjekte betrachten. Er hat mich nie wirklich verstanden und nicht begriffen, dass ich Verónica aufrichtig liebte und sie anbetete. Es hätte mir genügt, den Rest meines Lebens auf der Hacienda zu verbringen und deiner Mutter zu Füßen zu liegen. Für Ramón war das nicht nachvollziehbar, denn er kann nicht lieben. Dasselbe galt für meine Mutter.«
Don Eduardo wandte sich wieder zum Fenster. »Bruder Antonio, der arme Teufel. Er hätte niemals Priester werden dürfen. Er besaß zwar das mitfühlende Herz und die
Nächstenliebe eines Heiligen, aber er hatte auch menschliche Sehnsüchte. Als Verónica und ich den Weg junger Liebender gingen, war er unser Freund und Begleiter, der uns rücksichtsvoll auf grünen Wiesen allein ließ, damit wir uns niederlegen und unserer Leidenschaft freien Lauf lassen konnten. Wäre er mehr Spanier und weniger Menschenfreund gewesen, vielleicht hätte eine Tragödie vermieden werden können.«
»Gewiss ist es ihm im Grab ein Trost, dass er zu weichherzig war«, erwiderte ich und konnte mir einen höhnischen Unterton nicht verkneifen.
Don Eduardo sah mich an. Sein trauriger Blick war von Tränen verschleiert. »Du möchtest, dass ich die Schuld an Bruder Antonios Ermordung auf mich nehme. Ja, Cristóbal, das ist nur eine der vielen Todsünden, für die ich mich einst werde verantworten müssen. Hast du dich je gefragt, warum du Cristóbal heißt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Einer deiner längst verstorbenen Urahnen hieß Cristóbal. Von allen meiner Vorfahren habe ich ihn stets am meisten bewundert. Nach seinem Tod erhielt nie wieder ein Marqués in unserer Familie seinen Namen, da er die Familienehre beschmutzt hatte. Er hat eine maurische Prinzessin geheiratet, und es dauerte zwei Jahrhunderte, diesen Makel in unserem Blut wieder auszumerzen.«
»Ich fühle mich geehrt«, erwiderte ich kühl. »Wie passend, einem Mischling ausgerechnet diesen Namen zu geben.«
»Ich kann dich verstehen.« Er sah mich eindringlich an. »Du hast ein so aufregendes Leben geführt, wie es in der Geschichte der Kolonie vielleicht kein zweites gibt. Als Außenseiter bist du
Weitere Kostenlose Bücher