Das Blut der Azteken
als Caballero zu erkennen.
»Hier ist niemand«, sagte er. Seine Stimme klang aristokratisch und herrisch. Offenbar war er es gewohnt, Befehle zu geben.
»Im großen Raum ist auch keine Spur von dem Jungen und dem Priester, Don Ramón.«
Die zweite Stimme gehörte einem Indio oder Mestizen, einem Hirten, der zu Pferde Rinder oder Schafe trieb. Vielleicht war er auch Vorarbeiter auf einer Hacienda.
»Gewiss sind sie alle bei dem Fest, Don Ramón«, meinte er.
»In dieser Menschenmenge finden wir sie nie«, erwiderte der Don. »Außerdem muss ich zurück zu dem Empfang. Wir kommen morgen wieder.«
Wenn der Mann Gast beim Empfang des Alcalde war, musste er ein sehr wichtiger Sporenträger sein.
Noch lange nachdem das Knirschen der Stiefel verklungen war, harrte ich in meinem Versteck aus. Dann stieg ich aus dem Loch und kroch zum Vorhang, um in den dunklen Hauptraum zu spähen. Nichts rührte sich. Dennoch befürchtete ich, sie könnten jemanden zurückgelassen haben, um die Tür zu beobachteten. Deshalb öffnete ich den Fensterladen aus Flechtwerk hinter Bruder Antonios Bett und kletterte auf die Straße hinaus. Aus dem Stand des Mondes schloss ich, dass ich mindestens zwei Stunden in dem Versteck verbracht und das Fest vor mehr als drei Stunden verlassen hatte.
Ich pirschte mich die Gasse entlang, bis ich etwa zwei Straßen vom Armenhaus entfernt war, und suchte mir einen Beobachtungsposten, von dem aus ich die Vordertür gut im Auge behalten konnte. Bestimmt würde Bruder Antonio auf diesem Weg nach Hause zurückkehren.
Ich lehnte mich an die Wand und starrte auf die Straße. Bald strömten die ersten Leute, einige von ihnen sturzbetrunken, vom Festplatz herbei.
Der Morgen dämmerte fast, als Bruder Antonio mit einigen ausgelassenen Nachbarn die Straße entlanggetorkelt kam. Ich stürzte auf ihn zu und nahm ihn beiseite.
»Cristo, Cristo, was gibt es denn? Hast du ein Gespenst gesehen?«
»Bruder, wir haben große Schwierigkeiten.« Ich erzählte ihm von der Dame in Schwarz und dem Mann namens Don Ramón, der das Armenhaus durchsucht hatte.
Bruder Antonio bekreuzigte sich. »Wir sind verloren.«
Sein Verhalten schürte meine Angst noch weiter. »Wovon redest du, Bruder? Warum wollen diese Leute mir Böses?«
»Ramón ist der leibhaftige Teufel.« Er packte mich an den Schultern. Seine Stimme zitterte. »Du musst aus der Stadt verschwinden.«
»Ich… ich kann nicht. Ich kenne doch sonst nichts.«
»Du musst sofort weg von hier. Auf der Stelle.«
Bruder Antonio zog mich in eine dunkle Gasse. »Ich wusste, dass sie irgendwann kommen würden. Dieses Geheimnis konnte nicht ewig gewahrt bleiben. Aber ich dachte nicht, dass sie dich so bald finden würden.«
Ich war jung und verängstigt und wäre fast in Tränen ausgebrochen. »Was habe ich getan?«
»Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du fliehst. Du musst die Stadt auf der Straße nach Jalapa verlassen. Dort sind ständig Lastkarawanen unterwegs, die Waren von der Schatzflotte zum Markt bringen. Außerdem auch Reiter. Unter so vielen Menschen wirst du nicht weiter auffallen.«
Ich war entsetzt. Ganz allein nach Jalapa? Das war eine Reise von mehreren Tagen. »Was soll ich in Jalapa?«
»Auf mich warten. Ich komme nach. Viele Leute aus der Stadt reisen wegen des Marktes dorthin. Ich nehme Bruder Juan mit. Du bleibst in der Nähe des Marktes, bis ich da bin.«
»Aber, Bruder, ich will nicht…«
»Hör mir zu!« Wieder packte er mich an den Schultern, und seine Fingernägel gruben sich in meine Haut. »Es gibt keinen anderen Weg. Wenn sie dich finden, werden sie dich töten.«
»Warum…«
»Das kann ich dir nicht erklären. Wenn dich etwas retten kann, dann deine Unwissenheit. Von diesem Augenblick an darfst du kein Spanisch mehr sprechen. Sprich nur Náhuatl. Sie suchen einen Mestizen. Gib nie zu, dass du einer bist. Du bist ein Indio. Wenn man dich fragt, nenn einen Indionamen, keinen spanischen.«
»Bruder…«
»Geh jetzt. Vaya con Dios. Gott soll dich schützen, denn kein Mensch würde auch nur einen Finger krumm machen, um einem Mestizen zu helfen.«
8
Ich verließ die Stadt, bevor es hell wurde, ging rasch und hielt mich im Schatten. Es waren bereits einige Leute unterwegs. Außerdem Muli- und Eselskarawanen, beladen mit Waren von den Schiffen. Ich war schon seit Jahren nicht mehr auf der Straße nach Jalapa gewesen und wusste nicht, was mich dort erwartete. Obwohl ich durchaus in der Lage war, mich in Veracruz
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