Das Blut der Azteken
Bruder Antonios verängstigtes Gesicht vor Augen. Also rappelte ich mich bald wieder auf und setzte meinen Weg nach Jalapa fort.
Eine Stunde später verlief die Straße entlang einer Zuckerplantage. Obwohl Zuckerrohr in Neuspanien nicht heimisch war, wurde es von den Spaniern an der Küste angebaut. Das Schneiden und die Pflege des Zuckerrohrs war eine unbeschreiblich schwere und gefährliche Arbeit und wurde unter entbehrungsreichen Bedingungen durchgeführt. Auch wenn so mancher durch den Zucker zu traumhaftem Wohlstand gelangt war, arbeitete niemand freiwillig auf diesen Feldern. Nur in Verbindung mit Sklaverei ließen sich mit Zucker Geschäfte machen. Indios waren als Sklaven ganz und gar nicht geeignet, und es verloren so viele von ihnen auf den Plantagen und in den Bergwerken ihr Leben, dass Krone und Kirche schon ihr Aussterben befürchteten. Nur die Afrikaner waren einer solchen Schinderei gewachsen.
Als der König von Spanien im Jahr 1580 den portugiesischen Thron erbte, wurden Tausende von Afrikanern, misshandelt, halb verhungert und in Ketten, von portugiesischen Sklavenhändlern nach Neuspanien gebracht, wo sie auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten mussten.
Als ich nun an den Zuckerrohrfeldern vorbeiging, sah ich Männer, Frauen und Kinder, alles Afrikaner, die sich dort abplagten. Am Ende der Straße befanden sich die eingezäunten Unterkünfte der Schwarzen, eine Ansammlung runder Hütten mit spitz zulaufenden Strohdächern.
Von Beatriz wusste ich, dass die Sklaven in ihren Quartieren fast keine Rückzugsmöglichkeiten hatten. Sie lebten zusammen und teilten, unabhängig von Geschlecht und Familienstand, die Hütten miteinander und mit ihren Schweinen und Hühnern. Ihre Besitzer wollten zwar, dass sie sich vermehrten, versuchten aber, die Bildung von Familien zu verhindern, da sie Unruhen befürchteten - insbesondere dann, wenn Sklaven an die Besitzer anderer Haciendas verkauft wurden.
Die Sklaven auf den Zuckerplantagen arbeiteten fast rund um die Uhr und hatten kaum Freizeit. Für die Plantagenbesitzer waren die Schwarzen wertvolle Arbeitstiere. Afrikaner waren nicht nur größer und stärker als Indios, sondern auch widerstandsfähiger gegen die stickige Hitze, die Knochenarbeit und das Fieber, die die Indios millionenfach dahingerafft hatten.
Allerdings fürchteten die Spanier eine Rebellion der Schwarzen wie den Zorn Gottes.
Ich konnte diese Angst verstehen, denn während die Indios nach dem Mixtekenkrieg klein beigegeben hatten, hatte sich der afrikanische Widerstandsgeist nie gelegt.
Diego Kolumbus, der Sohn des ›Großen Entdeckers‹, war vom ersten Sklavenaufstand betroffen gewesen, als sich die Afrikaner auf seinen karibischen Plantagen erhoben und die Spanier niedermetzelten. Etwa alle zehn Jahre fand ein Aufstand der Afrikaner statt, gefolgt von noch härteren Repressalien vonseiten der Sporenträger. Und je mehr der afrikanische Bevölkerungsanteil den der reinblütigen Spanier überstieg, desto mehr wuchs auch die Angst.
Sklaven war es - zu Hause und in der Öffentlichkeit - verboten, sich zu mehr als zu dreien zu versammeln. Die Strafe dafür waren zweihundert Peitschenhiebe.
Immer wieder blickte ich mich furchtsam um. Die Straße war zwar nicht mehr für Kutschen geeignet, doch man konnte ja nie wissen. Vielleicht würde die böse alte Frau mich ja auf Adlerschwingen überholen und aus der Luft auf mich herunterstoßen.
Erneut gab ich mich als Eselstreiber aus, indem ich am Ende einer Karawane herging. Die Sonne versank hinter den Bergen, sodass sich der Weg verdunkelte. Bald würde ich mir einen sicheren Schlafplatz suchen müssen. Die Spanier sorgten zwar in den Städten und Dörfern für Ruhe und Ordnung, doch auf den Straßen herrschten die Banditen. Und die schlimmsten von ihnen waren meine Leidensgenossen, die Mestizen.
Nach allgemeiner Auffassung war ihr schlechtes Blut schuld an ihrer Verkommenheit, ein Urteil, das durchaus nachvollziehbar war. Schließlich wimmelte es auf den Straßen von Mestizen, die die Spanier ausraubten, wo immer sie nur konnten.
Bruder Antonio hingegen stritt ab, dass die Hautfarbe ein Hinweis auf den Charakter des Betreffenden sei. Seiner Ansicht nach hatten die Lebensumstände einen viel größeren Einfluss. Allerdings war er reinblütiger Spanier, ich hingegen ein Mischling, und deshalb war es mir nicht so ohne weiteres möglich, ein Vorurteil abzutun, das ich seit meiner frühen Kindheit zu hören bekam.
Bald würde die Karawane am
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