Das Blut der Azteken
Männer johlten, stampften mit den Füßen und warfen mehr Geld in die Hüte. Und dann begann die Darbietung.
Die Musik spielte schneller und schneller, und die Röcke flogen höher und höher, bis das Publikum zu toben begann. Selbst die beiden Priester konnten den Blick nicht abwenden.
Sie gaben sich zwar entrüstet und taten, als wollten sie gehen, doch sie schafften es aus irgendeinem Grunde nicht, sich wieder hinter die Absperrung zu ducken. Außerdem ordneten sie auch nicht an, den Tanz sofort einzustellen, und vermutlich war es nur zu ihrem Besten, dass sie ihren religiösen Eifer zügelten: Die Zuschauer hätten ihnen wahrscheinlich die Köpfe abgerissen.
Währenddessen gingen die beiden männlichen Schauspieler und der Zwerg mit den Hüten durch die Menge. Je mehr Geld hineinpurzelte, desto lauter riefen sie den Frauen Anweisungen zu und desto höher flogen die Röcke.
Erst als die Frauen so erschöpft waren, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, eilten die Priester auf die Bühne und forderten, dem Treiben Einhalt zu gebieten.
Selbst jetzt trafen sie noch auf Widerstand. Ein Betrunkener schlug einen der Priester nieder, während sich ein Schwall unflätiger Beschimpfungen über seinen Glaubensbruder ergoss.
Der Tumult wäre auch ohne die körperlichen und verbalen Attacken gegen die Priester abstoßend genug gewesen. Für mich war es Zeit zu gehen. Gewalt war auf den Straßen von Veracruz gang und gäbe und übte keinerlei Anziehungskraft auf mich aus. Offenbar ging es den Schauspielern ähnlich. Als ich den Baum hinunterkletterte, bemerkte ich, dass sie sich heimlich verdrückten.
Doch ich hatte großen Spaß gehabt, obwohl ich mich fragte, wie der Soldat die Hure mit seiner eigenen Frau hatte verwechseln können. Vielleicht hatte ich ja etwas Wichtiges verpasst.
Außerdem war ich immer noch schrecklich neugierig darauf, was aus dem Prinzen von Polen geworden war.
Beide Fragen sollten für mich noch bedeutsam werden. Auch wenn ich es damals noch nicht wusste, hatte ich aus den beiden Stücken etwas Wertvolles gelernt.
18
Als ich das ›Theater‹ verließ, wurde es dunkel. Ich war noch nicht weit gekommen, als ich den Pícaro Mateo bemerkte, der unter einem Baum saß. Vor ihm loderte ein Feuer, und an einem Ast hing eine verglimmende Fackel. Im flackernden Licht erkannte ich seine wütende Miene. Neben ihm lagen Papier und Federkiel, und ich fragte mich, ob er wohl an einem Buch schrieb, einem neuen Roman, der von Rittern und Abenteuern handelte.
Mich begeisterte die Vorstellung, dass dieser Mann tatsächlich ein Buch verfasste. Natürlich wusste ich, dass Bücher nicht wie Eier ausgebrütet wurden, sondern aus der Feder von Menschen stammten, aber es war mir dennoch rätselhaft, wie man dabei zu Werke ging. Abgesehen von den Brüdern kannte ich - außer mir selbst natürlich nur wenige, die überhaupt ihren Namen schreiben konnten.
Mateo griff nach einem Weinschlauch und nahm einen großen Schluck.
Zögernd schlich ich heran, bis ich so nah war, dass er seinen Dolch nach mir hätte werfen können. Er blickte auf, und seine Miene verdüsterte sich, als er mich erkannte.
»Ich habe das Stück gesehen«, sagte ich rasch. »Das Leben ist ein Traum war viel besser als die alberne Geschichte des Zwerges. Warum hat der Soldat nicht bemerkt, dass eine andere Frau den Platz seiner Gattin eingenommen hat? Und dann seine Tochter -der Autor hat uns überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass es eine Tochter gibt und dass sie krank ist.«
»Was versteht ein dahergelaufener lépero wie du schon von einer comedia?«, lallte er betrunken. Ein weiterer Weinschlauch lag schlaff und leer neben ihm.
»Ich kenne mich nicht gut mit comedias aus«, erwiderte ich herablassend, »aber ich habe die Klassiker auf Latein und Kastilisch und sogar auf Altgriechisch gelesen. Außerdem zwei Theaterstücke, eines von Lope de Vega und das andere von Mig…« Das Wort blieb mir im Halse stecken, denn das einzige andere Stück, das ich kannte, war von Miguel de Cervantes, und Mateo hatte mir gedroht, mich umzubringen, wenn ich diesen Namen noch einmal erwähnte.
»Welche spanischen Bücher hast du gelesen?«
» Guzmán de Alfarache. « Das andere Buch, Don Quijote, durfte ich natürlich nicht nennen.
»Welchem Freund hat Achill in der Ilias gestattet, für ihn zu kämpfen?«, fragte Mateo.
»Patroklos. Er fiel, als er Achills Rüstung trug.«
»Wer hat ihn getötet?«
»Er sagte zu Hektor, es seien die
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