Das Blut der Azteken
Menge.
Nach eindringlicher Befragung kam schließlich die Wahrheit ans Licht. Sie war gar nicht seine Frau, sondern eine maurische Hure, die die sittsame Braut während seines Aufenthalts in Italien ermordet und ihren Platz eingenommen hatte.
Daraufhin wurde sie von dem braven Soldaten prompt enthauptet, sodass ihre heidnische Seele geradewegs in der Hölle landete. Das Publikum bejubelte diese Vorgänge lautstark.
Ich dachte - hoffte und betete -, dass das Stück jetzt zu Ende war, doch nun trat eine weitere Figur auf: die Tochter des Soldaten. Diese, ein kleines Mädchen, wurde von der zierlicheren der beiden Tänzerinnen gespielt.
Der Zwergensoldat fand heraus, dass sein kleines Mädchen an der Pest litt und sterben musste. Er fiel neben ihrem Bett auf die Knie und betete für sie. In Antwort auf sein Gebet holte ein Engel das Kind aus dem Bett und hinauf in den Himmel -und zwar mithilfe eines an einem Ast befestigten Seils.
»Gott erkennt die Seinen«, sagte der Held zu den Zuschauern, von denen einigen die Tränen die Wangen hinunterliefen.
Das Stück erinnerte seinem Inhalt nach an Peribáñez und der Kommandant von Ocaña, ein Meisterwerk von Lope de Vega. Bruder Juan hatte mir erlaubt, das Drama zu lesen, weil Vega einer der Größen des spanischen Theaters war. Vegas Stück wollte vermitteln, dass die Ehre kein Privileg der Oberschicht darstellt, sondern auch dem einfachsten Bauern innewohnt. Peribáñez, ein Bauer, war zwar nicht von edler Geburt, aber im Grunde seines Herzens ein Ehrenmann. Als seine Ehre und Menschenwürde vom Kommandanten, der es auf seine Frau abgesehen hat, mit Füßen getreten werden, rächt sich Peribáñez an dem mächtigen Adligen.
Der Kommandant ernennt Peribáñez zum Hauptmann, damit er ihn aus Ocaña fortschicken kann und so freie Bahn hat, dessen Frau Casilda zu verführen. Allerdings hat der schlaue Edelmann die Rechnung ohne den Mut und die Treue von Casilda gemacht, denn sie ist bereit, zu kämpfen und für ihre Ehre zu sterben. Peribáñez deckt den finsteren Plan des Adligen auf, wird Zeuge, wie seine Frau sich opfern will, und tötet den Kommandanten in einem mörderischen Gefecht.
Das Stück, das hier auf dem Markt zum Besten gegeben wurde, war nichts als ein blasser Abklatsch von Vegas Drama, erfüllte jedoch denselben Zweck wie Theateraufführungen überall -nämlich dem Publikum das sauer verdiente Geld aus der Tasche zu locken.
Offenbar hielt man sich dabei stets an folgendes Muster: Zuerst forderte man die Mannesehre heraus und sah dann zu, wie die Fetzen flogen. Nichts konnte ein Publikum mehr aufpeitschen als geschändete Keuschheit und die darauf folgende Vergeltung. Ich persönlich hätte die vielschichtige Gefühlswelt des betäubten und belogenen Prinzen vorgezogen, den man wie ein Tier hatte aufwachsen lassen. Aber offenbar waren tiefgründige Empfindungen nicht dazu geeignet, das Blut stolzer Männer in Wallungen zu bringen. Anscheinend musste ein Theaterstück sich mit Männlichkeit, Mut und der Makellosigkeit des Stammbaums befassen. Die Ehre begründete sich darauf, wer und was man war - also einzig und allein auf die Herkunft. Nicht einmal Reichtum, Titel und eine gute Familie konnten es mit einer reinblütigen Abstammung aufnehmen, insbesondere dann nicht, wenn noch die Bereitschaft hinzukam, für dieses Ideal zu sterben. Diese Entschlossenheit wiederum galt als der Inbegriff der hombría, der spanischen Mannesehre.
Ich hatte zwar als Mischling keine Ehre, verstand die Regeln der hombría aber nur zu gut. Reichtum, Bildung, ja, sogar ein herausragendes Talent wie das eines begabten Schriftstellers oder anerkannten Wissenschaftlers wurden von den Sporenträgern als unbedeutende Errungenschaften der Juden und Mauren abgetan. Einen richtigen Mann maß man an seiner Stärke und an seiner Lust, andere zu beherrschen -Männer mit dem Schwert, Frauen durch Leidenschaft.
Ich wollte schon vom Baum herunterklettern, als der Zwerg eine weitere Attraktion ankündigte, sofern die Zuschauer bereit seien, dafür zu bezahlen.
»Diese schönen Señoritas werden eine Sarabande für euch tanzen!«, begeisterte er sich.
Eine Sarabande war ein unanständiger Tanz - schamlos, lüstern, anstößig und verpönt -, bei dem die Frauen verführerisch die Röcke in die Höhe schleuderten und eindeutige Hüftbewegungen vollführten. Obwohl diese Frauen den Männern eigentlich nichts zeigen konnten, was sie nicht schon gesehen hatten, waren alle Feuer und Flamme. Die
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