Das Blut der Azteken
»Ahnungslosigkeit ist deine einzige Hoffnung. Und auch die meine. Du musst in der Lage sein, aufrichtig zu antworten, dass du nichts weißt.«
Ich hingegen war nicht so überzeugt, dass Unwissenheit mich schützen würde. Nur Mateo hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht in Unwissenheit gestorben war.
Auf dem langen Rückweg betete Bruder Antonio viel und sprach kaum ein Wort, selbst dann nicht, als wir unser Lager aufschlugen. Wir versteckten uns im Gebüsch, in möglichst großem Abstand zur Straße.
Eine Stunde Fußmarsch entfernt von Veracruz blieben wir stehen.
»Gehe nur bei Nacht«, sagte der Bruder, »und betrete die Stadt im Schutz der Dunkelheit. Halte dich von der Straße fern, und verbirg dich, wenn es hell wird. Und komme erst ins Armenhaus, wenn ich nach dir schicke.«
»Wie willst du mich finden?«
»Halte dich an Beatriz. Ich werde dir durch sie eine Nachricht zukommen lassen, wenn keine Gefahr mehr droht.«
Als ich mich auf den Weg machen wollte, stieg der Bruder von dem erschöpften Maultier und umarmte mich. »Du hast das alles nicht verschuldet -außer man macht dir zum Vorwurf, dass du geboren bist. Geh mit Gott!«
Und mit dem Teufel, dachte ich zornig.
Als ich in die Einöde hineinlief, hallten mir die Worte in den Ohren, die mich mein Leben lang verfolgen sollten. »Vergiss nicht, Cristo, wenn sie dich finden, kann dich nichts mehr retten.«
21
Ich war müde von dem langen Ritt und hatte es satt, mich im Gebüsch zu verstecken. Außerdem hatte ich herzlich genug davon, vor Fremden davonzulaufen und wegen eines Geheimnisses verfolgt zu werden, von dem ich nichts wusste. In der Nacht zuvor hatte ich nur wenige Stunden geschlafen; also legte ich mich hin und schlief ein, sobald mein Kopf den Boden berührte.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Die Nachtvögel sangen, und in den Büschen schlichen raschelnd die Raubtiere umher, die nur im Licht des Mondes töten. Quälende Gedanken peinigten mich. Offenbar wohnten Ramón und die Dame nicht in Veracruz, denn ansonsten wären sie mir dem Gesicht nach bekannt gewesen. Gewiss waren sie wegen der Ankunft des Erzbischofs angereist. Deshalb, so überlegte ich mir, lebten die beiden sicher ein Stück entfernt, vielleicht sogar in Mexiko-Stadt.
Ich war überzeugt davon, dass sich die Ereignisse, auf die sich der tiefe Hass der alten Frau gegen mich begründete, schon vor langer Zeit zugetragen hatten. Bruder Antonio hatte angedeutet, dass die fraglichen Vorfälle in die Zeit vor meiner Geburt hineinreichten. In jenen Tagen war er Priester auf einer Hacienda gewesen, die viel größer und bedeutender war als die von Don Francisco. Vermutlich hatte sein Priestergewand ihn geschützt, denn die Kirche hätte jeden überprüft und bestraft, der einem Geistlichen Schaden zufügte.
Dennoch hatten diese vergangenen Ereignisse ihn das Priesteramt gekostet. Zudem hatte er gesagt, dass Ahnungslosigkeit meine einzige Rettung sei. Er selbst war offenbar sehr wohl über alles im Bilde. Und er stand nicht mehr unter dem Schutz der Kirche.
Wie sollte er sich retten?
Ich machte mich auf den Weg, da ich das Bedürfnis hatte, noch einmal mit dem Priester zu sprechen. Er schwebte eindeutig in Gefahr. Vielleicht war es das Beste, wenn wir Veracruz gemeinsam verließen. Ich wollte zuerst zu Beatriz. Auch wenn sie sicher noch nicht vom Markt zurück war, konnte ich mich bei ihr verstecken. Dort würde niemand nach mir suchen. Denn ich hatte nichts zu essen, und mir graute davor, in der Wildnis allein zu bleiben.
Die Straße war menschenleer, nachts waren keine Reisenden unterwegs. Außerdem war die Stadt zu nah, als dass es sich lohnte, hier ein Lager aufzuschlagen. Das Licht des Mondes erleuchtete die Dünen und sorgte für genug Helligkeit, sodass ich die Schlangen erkennen konnte, die aus den Sümpfen herbeikrochen.
Als ich die Stadt erreichte, knurrte mir heftig der Magen. Ich spürte, dass es erheblich kälter geworden war. Ein Wind erhob sich, der mir das Haar ins Gesicht blies und mir fast den Umhang von den Schultern wehte. El norte stand vor der Tür.
Ein kräftiger el norte war stark genug, um Gebäude zu zerstören und Schiffe von den Ankertauen zu reißen und sie zurück ins Meer zu treiben. In den Dünen schälte einem der vom Wind aufgepeitschte Sand buchstäblich die Haut von Gesicht und Händen. Deshalb tat man gut daran, einem el norte aus dem Weg zu gehen - doch ich stand schutzlos im Freien.
Zuerst musste ich mit Bruder Antonio sprechen.
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