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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Anschließend wollte ich zu Beatriz, die ein schäbiges kleines Zimmer in einem heruntergekommenen Gebäude bewohnte; dieses lag so nah am Wasser, dass es bei Sommerhitze den üblen Gerüchen und im Winter der entfesselten Wut des el norte ausgesetzt war. Ihr Hauswirt war ein ehemaliger Sklave, dessen frühere Herrin in ihrem Testament die Freilassung all ihrer Leibeigenen verfügt hatte. Obwohl er die Leiden und Entbehrungen der Sklaverei hatte ertragen müssen, war er dadurch kein mitfühlender Mensch geworden. Er hatte sich ein Haus gekauft und vermietete nun einzelne Zimmer. Ich war sicher, dass ich mich hineinschleichen konnte, ohne dass er mich bemerkte. Beatriz' Kammer würde mir zwar Unterschlupf für die Nacht bieten, doch ich wusste, dass sie nichts Essbares im Haus hatte. Jeden Tag bereitete sie draußen auf dem Boden frische Tortillas und Bohnen zu, also würde ich nichts finden, worüber sich nicht schon die Ratten hergemacht hatten.
    Ich befand mich am Stadtrand. Der Wind sauste in heftigen Böen durch die Straßen von Veracruz und wirbelte den Staub und die Abfälle auf, die sich dort seit dem letzten Sturm angesammelt hatten.
    Als ich das Armenhaus erreichte, verdeckten Wolken den Mond, die Nacht war pechschwarz. Der Wind zerrte an meinen Kleidern, der fliegende Sand brannte mir auf Händen und Gesicht.
    Ich stürzte zur Tür hinein. »Bruder Antonio!«, rief ich.
    Eine einzige Kerze erleuchtete den Raum, der ansonsten im Schatten lag. Deshalb sah ich Ramón und die beiden anderen Männer erst, als es zu spät war. Bruder Antonio saß, die Arme mit einem dicken Hanfseil am Rücken gefesselt, auf einem Stuhl. Ein weiteres Stück des mehrfach verknoteten Seils hatte man benutzt, um ihn zu knebeln. Einer der Männer hielt den Bruder fest, während Ramón ihn mit dem bleibeschwerten Knauf seiner Reitpeitsche schlug. Das rote, angeschwollene Gesicht des Bruders war blutverschmiert und schmerzverzerrt. Offenbar hatte ein dritter Mann die Tür bewacht, denn sobald ich eingetreten war, knallte er sie zu und packte mich an den Armen.
    Ramón kam auf mich zu und zückte seinen riesigen Dolch mit der doppelten Klinge.
    »Nun werde ich vollenden, was ich am Tag deiner Geburt begonnen habe«, sagte er.
    Bruder Antonio riss sich von dem Mann los, der ihn festhielt. Er warf sich auf den Mann, der mich ergriffen hatte, und rempelte ihn in die Seite wie ein angreifender Bulle. Die beiden fielen zu Boden. Als Ramón sich mit dem Dolch auf mich stürzte, wich ich ihm aus, sodass er an mir vorbeitaumelte und über seinen Spießgesellen stolperte. Dieser versuchte vergeblich, das Gleichgewicht zu halten. Dann stürzten die beiden ebenfalls hin. Voll Zorn darüber, dass er mich verfehlt hatte, rappelte Ramón sich auf und entdeckte, dass ihm in dem gefesselten und geknebelten Bruder Antonio ein zweites Opfer zur Verfügung stand. Mit beiden Händen hob er den Dolch hoch über den Kopf und stieß die lange Klinge bis zum Heft in den Bauch des Mönchs.
    »Verfaule in der Hölle, du Hurensohn!«, brüllte Ramón. Der geknebelte Bruder stöhnte vor Schmerz auf und wälzte sich auf den Rücken. Seine Augen waren weit aufgerissen, aus seinem offenen Mund floss Blut. Dann wurde sein Unterkiefer schlaff, und seine Augen verdrehten sich, bis das Weiße zu sehen war. Während Ramón immer wieder mit dem Dolch zustieß, stürmte ich entsetzt zur Tür und gab Fersengeld. Hinter mir hörte ich Rufe, doch das war mir gleichgültig, denn ich nahm nichts mehr wahr als die Dunkelheit, den herannahenden wütenden Sturm und die Notwendigkeit, meine Verfolger abzuhängen. Bald hatte ich sie weit hinter mir gelassen und stand allein und vom Wind umtost in der finsteren Nacht.

22
    Als ich sicher sein konnte, dass Ramón und seine Männer nicht mehr hinter mir her waren, machte ich mich auf den Weg zu Beatriz' Zimmer, wo der Platz kaum für eine Schlafmatte und ein Kruzifix an der Wand reichte. Die Wand hatte zahlreiche Ritzen und Spalten, durch die Wind, Regen und Moskitos ungehindert eindringen konnten. Der befreite Sklave, der das Haus besaß, verlangte eine unerhört hohe Miete und kassierte ein Drittel der Einkünfte von den Huren und Zuckerrohrverkäufern, denen er Obdach gewährte. Die Mühe, das Haus instand zu halten, sparte er sich hingegen. Ich kletterte die seitlich am Gebäude verlaufende Außentreppe hinauf, die zu Beatriz' Zimmer führte, und blieb vor ihrer Tür stehen. Da niemand von uns etwas Wertvolles besaß, war es -

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