Das Blut der Berge (Die Steinzeit-Trilogie) (German Edition)
Taro lag zusammengerollt zwischen ihnen. Der geheime Platz, an dem sie sich trafen, wann immer es möglich war, lag genau zwischen den Lagern beider Sippen und war von keiner Stelle am See oder dem üblichen Verbindungspfad aus einsehbar. Nur Ilaa wusste noch von dem Treffpunkt. Einmal war sie auch schon dabei gewesen, manchmal spazierte sie mit ihrem kleinen Sohn am See entlang und passte auf, ob sich jemand näherte. An diesem Tag war sie jedoch gerade mit dem Nähen von Kleidung beschäftigt und hatte ihre Arbeit nicht unterbrechen wollen. Das war auch kein Problem für Pinaa, sie glaubte, dass das Versteck sicher war. Es war traurig, dass sie sich nicht offen begegnen konnten, aber Ishara hatte Pinaa deutlich zu verstehen gegeben, dass ihr Mann Tiboo nicht wollte, dass sie sich allein mit Fremden traf. Zudem war das Verhältnis der Sippen nach dem Vorfall in den Bergen so angespannt, dass vermutlich beide Seiten gegen eine solche Freundschaft wären. Und Tisgar, der von Anfang an gegen die Verbindung mit Tamboos Sippe gewesen war, würde sich auch nicht gerade darüber freuen. Eigentlich war Pinaa das egal. Aber sie wollte Ishara nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie schien Angst vor ihrem Mann zu haben und keine Unterstützung in ihrer Sippe zu bekommen. Auch den anderen Frauen war sie wohl zu fremd.
Also trafen sie sich heimlich hier. Und brachten sich gegenseitig ihre Sprachen bei. Sie hatten schon einige Bezeichnungen für Menschen, Tiere und Pflanzen abgearbeitet - Mann, Frau, Jäger, Sippenmitglied, Wolf, Baum usw. - sowie wichtige Gegenstände wie Hütte, Zelt, verschiedene Werkzeuge und Waffen und versahen diese jetzt mit Eigenschaften. Ishara lernte schnell. Pinaa betrachtete sie, während sie Eigenschaften und Gegenstände in Verbindung brachte. Bestimmt litt sie sehr darunter, niemanden aus ihrer neuen Sippe zu verstehen, und das schon so lange. Es war wichtig für sie, endlich bemerkt, vielleicht sogar anerkannt zu werden, darum nahm sie alles in sich auf. Viele Worte waren ihr auch schon bekannt, sie hatte immer aufmerksam zugehört, wenn Tiboo mit anderen sprach, und versucht, Zusammenhänge herzustellen. Sie war sehr schön. Auch ihr dicker Bauch, in dem ihr Kind heranwuchs, änderte nichts daran. Pinaa musste bei diesem Anblick immer an Tisgar und seine Worte denken. "Dann wird es schon ein Junge." Sie hatten sich nach Kräften bemüht, ein Kind zu bekommen, und Pinaa hatte langsam das Gefühl, dass ihr Körper bald keine andere Wahl mehr hatte. Bald würde sie so aussehen wie Ishara und jeden Tag hoffen, dass es ein Junge wäre. Ishara merkte immer, wenn Pinaa nachdenklich und traurig wurde. Sie strich dann sanft mit einem Finger über ihre Wange und sagte etwas in ihrer Sprache, was wohl so viel hieß wie "Der Gott wird es schon gut machen." Und Pinaa erinnerte sich dann immer, dass es Ishara ohne Freunde und so weit weg von ihrem Zuhause und mit diesem Mann sicher viel schlechter ginge als ihr. Dann lächelte sie wieder und nahm sich vor, weniger über sich zu grübeln und mehr für andere da zu sein.
Plötzlich hob Taro den Kopf und schnüffelte. Pinaa sah ihn fragend an. Er erhob sich langsam, rieb den Kopf an ihrer Hand und ging ein paar Schritte Richtung See. Angespannt blickte er das Ufer hinunter. Und rannte auf einmal völlig unerwartet los. Pinaa sah ihm erschrocken hinterher, gefangen zwischen der Angst entdeckt zu werden und der Neugier. Dann erklang ein Platschen. Taro war in den See gesprungen. Nun hielt Pinaa nichts mehr. Sie bedeutete Ishara, im Versteck zu bleiben, schaute vorsichtig in alle Richtungen und rannte dann ebenfalls los.
Nach einigen Schritten sah sie Taro im See schwimmen. Aber es war nichts sonst zu sehen. Er entfernte sich immer weiter vom Ufer und schließlich verschwand sein Kopf unter Wasser. Pinaa bekam es mit der Angst zu tun. Sie wusste, dass Wölfe gute Schwimmer waren und Taro war auch schon oft geschwommen, aber es gab gefährliche Strömungen im See. Was war mit ihm, warum war er unter Wasser? Kurz bevor sie selbst in Panik ins Wasser springen wollte, tauchte Taros Kopf wieder auf und mit ihm noch etwas anderes. Pinaa konnte zuerst nicht erkennen, was es war. Aufgeregt lief sie am Ufer Auf und Ab. Als Taro langsam wieder näher kam, erkannte sie, dass er einen Menschen hinter sich herzog. Pinaa schauderte kurz. Dann rannte sie schnell zu Ishara zurück und drängte sie, rasch zu ihrer Sippe zurückzukehren, da sie Zeichen geben musste. Ishara verstand
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