Das Blut der Berge (Die Steinzeit-Trilogie) (German Edition)
dürfen. Pinaa und Ishara pflückten also fleißig die bunten süßen Früchte und brachten sich weiter gegenseitig ihre Sprache bei. Zurzeit waren die einzelnen Körperteile und was man mit ihnen tun konnte an der Reihe. Sie berührten den Teil der jeweilig anderen und benannten ihn, dazu gab es einige Verben und passende Gesten. Nach einer Weile des ernsten Lernens, unterbrochen von einigen Kicheranfällen, berührte Ishara Pinaas Bauch und fragte "Schmerz?" Pinaa sah sie kurz erschrocken an, dann schüttelte sie entschieden den Kopf und antwortete: "Bauch." Dann lächelte sie breit und rieb sich darüber. "Bauch gut." Ishara sah sie zweifelnd an und flüsterte dann: "Bauch mit Kind. Schmerz?" Pinaa war schockiert. Nun sahen also auch schon andere, dass sie ein Kind erwartete? Nur sie sah nichts. Und spürte nichts. Und gerade als sie dachte, dass das alles nur Unsinn sei, ereilte sie erneut ein heftiger Krampf. Als hätte jemand ein Messer in ihren Unterleib gebohrt. Sie sackte zusammen und Ishara fing sie auf.
Nach einer Weile ließen die Schmerzen nach und Pinaa ging es besser. "Ich habe ..." Ishara sagte ein Wort in ihrer Sprache, das Pinaa nicht verstand. "Gut für Schmerz. Ich bringe." Sie strich Pinaa sanft mit kühler Hand über die heiße Stirn. Dabei entdeckte Pinaa einen großen blauen Fleck auf der Innenseite von Isharas Oberarm. Schon öfter waren ihr ähnliche Male an Ishara aufgefallen, bisher hatte sie sich jedoch nichts dabei gedacht. Jetzt aber kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Sie vergaß ihren Schmerz, richtete sich auf und zeigte auf den Fleck. "Was ist das?" wollte sie in Isharas Sprache wissen. Und fuhr in ihrer eigenen fort: "Tut Tiboo dir weh? Tiboo Schmerz?" Ishara fuhr erschrocken zurück und zog ihren Arm weg. Sie schüttelte beide Hände und deutete dann wieder auf Pinaas Bauch. "Du Schmerz." Pinaa ignorierte das und packte sie sanft bei den Schultern. "Ishara." sagte sie eindringlich. "Ich habe das schon oft gesehen. Verzeih mir, dass ich es nicht bemerkt habe." Ishara senkte den Kopf und flüsterte: "Nein, nein." Aber Pinaa ließ sich nicht abhalten. "Tiboo darf dir keine Schmerzen zufügen." fuhr sie fort. "Du musst dich wehren. Es jemandem sagen. Verstehst du?" Ishara nickte langsam. Pinaa war sicher, dass sie inzwischen sehr viel verstand, also vermutlich auch mehr über die Menschen, die sie umgaben, wusste, als denen lieb war. "Tiboo mein Mann." sagte sie. "Habe nur ihn. Und jetzt Kind." Dann begann sie zu weinen. "Und Kind ist nicht Mann." Pinaa nahm sie in die Arme. Konnte das denn wahr sein? Was war nur falsch an Töchtern? "Ja, ich weiß, was du meinst." sagte sie. Ishara schluchzte laut. "Wem sagen? Niemand wird helfen. Alles seine Freunde." "Ich werde dir helfen." versprach Pinaa entschlossen. "Wir werden eine Lösung finden. Bestimmt."
Stöhnend schreckte Tisgar aus dem Schlaf. Er war schweißgebadet und atmete schwer. Das Mädchen war ihm erschienen. Das kleine Mädchen, das er getötet hatte. Pinaa hatte das tote Mädchen in den Armen gehalten und ihn anklagend angesehen. "Du hast unsere Tochter getötet." hatte sie gesagt. Und dann hatte sie sich einfach umgedreht und war gegangen. Hatte ihn verlassen. Warum schickten ihm die Geister der Ahnen solche Bilder? Taro lag eingerollt neben ihm, er hob kurz den Kopf und Tisgar strich ihm sanft über den Hals. Er zuckte zusammen, als er merkte, dass Rassa ihn beobachtete. Das kleine Feuer war heruntergebrannt, aber es wurde bereits hell, ihre dunklen Augen hefteten sich an seine. "Schlimme Nachtbilder?" fragte sie. Er erwiderte ihren Blick eine Weile, antwortete aber nicht. Irgendwo rief ein Vogel nach den ersten Sonnenstrahlen. "Habt ihr ... alle getötet?" flüsterte sie. "Alle?" Tisgar senkte kurz den Blick. Dann hob er den Kopf wieder und sie erschrak, als sie sein breites Lächeln sah. "Alle." zischte er. Sie sah ihn traurig an. "Das hättet ihr wohl auch getan, oder etwa nicht?" fragte er lauernd. Sie reckte das Kinn vor. "Ja, das hätten wir." bestätigte sie. Der Vogel im Hintergrund verstummte. "Also sag mir einen Grund, warum wir dich nicht auch töten sollen?" Er spielte mit seinem Messer. Sie hob die Schultern und sah in den langsam erwachenden Wald. "Es muss aufhören." sagte sie dann ganz leise. "Es muss einfach irgendwann aufhören."
"Was ist los?" Haroo wälzte sich aus seinem Fell und gähnte. "Was redet ihr?" "Nichts." entgegnete Tisgar. "Steh auf, wir sollten bald weiter." Er kontrollierte Taros Pfote und
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