Das Blut der Lilie
deiner
nichtsnutzigen Freunde rumalbern! «
»Ich muss los. Die fleischfressende Momba. Bis bald, A.«
»Bis bald.«
Lächelnd lege ich auf, froh darüber, dass mein Plan
funktioniert hat. Froh, dass meine Mutter, die Malerin, wieder malt â selbst
wenn es auf einer Klinikwand ist. Vielleicht kann ich ihr noch andere Dinge
mitbringen. Warum eigentlich nicht? SchlieÃlich muss ich noch ein paar Stunden
Zeit totschlagen, bevor ich zum Flughafen fahre, und Clignancourt, der groÃe
Pariser Flohmarkt, ist heute geöffnet. Ich beschlieÃe kurzerhand hinzugehen.
Ich nehme meine Tasche und meine Jacke und sage meinem Vater,
dass ich noch mal ausgehe. Er fragt mich, ob ich genug Euros für die Fahrt zum
Flughafen und genug Dollars für die Taxifahrt vom Flughafen JFK nach Brooklyn habe. Aber bevor ich antworten kann,
klingelt sein Handy.
»Hallo, Matt«, sagt er und sieht auf seine Uhr. »Es ist noch
sehr früh, oder? Ist irgendwas passiert?«
Matt. Das ist Dr. Beckers Vorname. Ich frage mich, ob er
heute schon Visite gemacht hat. Ob er Moms Wandbild gesehen hat und
möglicherweise darauf gekommen ist, wer ihr die Malsachen geschickt hat. Zeit,
mich auf die Socken zu machen.
»Andi, warte einen Moment«, sagt Dad.
»Keine Sorge, Dad!«, rufe ich von der Tür aus. »Ich hab Geld!
Alles in Ordnung! Ich ruf dich aus Brooklyn an. Bis dann!«
Ich schlage die Tür hinter mir zu und mache mich aus dem
Staub.
  52 Â
Wie eine Stadt hat Cligancourt verschiedene Bezirke.
Die StraÃen, die zum Markt führen, sind voller Händler mit
billigem Ramsch. Sie stellen ihre Waren auf Karren aus oder einfach auf Decken,
die auf dem Boden ausgebreitet sind. Ich gehe an Frauen und Männern vorbei, die
afrikanische Perlenketten, Socken, Lippenstifte, Unterwäsche, Jogginghosen,
Ziegen-Curry und Batterien verkaufen, und stoÃe weiter ins Herz des Markts vor.
In der Rue des Rosiers und der Rue Biron gibt es Möbel. In
der Rue de LâEntrepôt Alteisen. In der Rue de la Serpette gebrauchte Kleider,
alte Louis-Vuitton-Koffer und Kronleuchter. Von all dem Zeug will ich nichts haben,
also gehe ich zum Marché Vernaison, der flippiger ist und ausgefalleneren
Trödel hat. Es ist ein wahres Labyrinth aus eng aneinander gedrängten Buden.
An einer bleibe ich stehen und kaufe einen silbernen
Fingerhut und eine zersprungene Porzellantasse. Ein Kochbuch aus den
Vierzigern. Eine verblichene, mit Samt bezogene Bonbonschachtel. Dann gehe ich
weiter und finde ein paar verblasste Seidenrosen, Jett-Knöpfe, einen
Stoffgürtel mit Strass-Schnalle und Postkarten aus Deauville. Ich schlängle
mich an Schachteln und Kisten vorbei, krame und stöbere herum und stopfe meine
Trophäen in meine Tasche.
Ich biege um eine Ecke und komme an einen Stand mit
Pelzmänteln, ein anderer verkauft Uhren. Vor einem dritten steht ein alter
vergoldeter Tisch, eine Schale mit Billardkugeln darauf. Sie sind voller
Scharten und Risse, kosten fünf Euro das Stück, und ich weiÃ, dass sie meiner
Mutter gefallen werden. Ich nehme drei.
Meine Tasche wird schwer. Ich habe Hunger. Aber ich suche und
wühle weiter, dringe immer tiefer in den Markt ein, bis ich auf der anderen
Seite wieder herauskomme. Anstelle der Antiquitätenhändler finden sich hier
wieder mehr Ramschbuden. Ich entdecke eine rote Kristallhalskette und eine
Bonbondose.
Und dann bin ich am Ende angekommen, und es gibt nur noch
einen letzten Händler â einen dünnen Typen mit Pferdeschwanz. Mit der einen
Hand schiebt er sich einen Fladen mit Gyros in den Mund, mit der anderen zerrt
er irgendwelches Zeug aus einem verrosteten Citroën. Offensichtlich ist er
gerade erst angekommen. Er trägt eine lange, schmuddelige Samtjacke mit einem
Kapuzenshirt darunter. Auf dem Shirt sind die Umrisse einer Stadt abgebildet. I ⥠ORLÃANS, steht darauf.
Auf dem Gehsteig steht eine Kiste mit altem Schmuck, und ich
krame darin. Er geht neben mir in die Hocke und lächelt mich an. Seine Zähne
sind schlecht. Zwischen seinen Fingern sind Blutergüsse. Seine Augen wirken
glasig, sein Blick fahrig. Er sieht sich um und zieht dann einen Knochen aus
seiner Jacke.
»Er ist aus dem Katakomben«, erklärt er. »Ein Beinknochen.
Sehr alt. Willst du ihn? Zwanzig Euro. Ich hab auch Rippen. Zehn Euro. Und
Schädel. Die kosten fünfzig.«
»Ãhm, nein, danke.«
Ich hoffe, dass
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