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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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steht so dicht neben mir, dass ich das Lamm riechen kann, das er
gegessen hat.
    Ich weiche zurück. »Vergiss es, Arschloch«, zische ich.
    Er lacht. »Bild dir bloß nichts ein. Der Gürtel ist
allerdings was wert«, erwidert er.
    Jetzt kapiere ich’s. Ich nehme ihn ab und lege ihn auf das
Geld.
    Â»Weiter«, sagt er.
    Ich ziehe meine Ringe von den Fingern und lege sie auf den
Stapel. Und meine Armbänder. Er fährt mit den Fingern durch den Schmuck und
deutet auf meine Ohrringe.
    Â»Also jetzt reicht’s aber.«
    Â»Willst du das Bild?«
    Murrend nehme ich sie ab und lege sie zu dem Rest. Ich fühle
mich nackt und wehrlos, als hätte er mir meine Rüstung abgenommen. Ich habe
keinerlei Metall mehr an mir. Nun, fast keines mehr. Sein Blick bleibt an
Trumans Schlüssel hängen. Ich lege die Hand darüber.
    Â»Vergiss es. Der steht nicht zum Verkauf«, erkläre ich.
    Er starrt auf den Schlüssel, dann hebt er den Blick, der
jetzt nicht mehr ziellos umherirrt. Seine Augen sind dunkel und stechend. So
dunkel wie die Mitternacht.
    Sie glitzern, als er mich anlächelt. »Leben wurde
ausgelöscht«, sagt er. »Aber nicht so vollständig, als dass nicht genügend
verstreute Reste übrig geblieben wären.«
    Â»Was?«, frage ich entsetzt. »Warum sagst du das?«
    Aber er antwortet mir nicht, sondern lacht bloß.
    Es hat nichts zu bedeuten, ist bloß das Gestammel eines
Junkies, sage ich mir. Er weiß überhaupt nichts. Nichts über mich. Oder Truman.
Nichts über den Schlüssel.
    Â»Verkaufst du mir das Bild nun oder nicht?«, frage ich und
bemühe mich, entschlossener zu klingen, als ich mich fühle.
    Er beißt sich einen Moment lang auf die Lippe und nickt dann.
Ich klemme mir das Bild unter den Arm, bevor er es sich anders überlegt.
    Â»Danke«, sage ich und mache mich davon. Ich bin so aufgeregt,
dass ich Adieu zu
ihmsage,
was ein endgültiger Abschiedsgruß ist, ungefähr so, als würde man sagen: Wir sehen uns wieder in
der anderen Welt, statt Au revoir, was Auf Wiedersehen
heißt. Ich entschuldige mich für meinen Fehler und sage Au revoir zu ihm.
    Er schüttelt den Kopf und lächelt mich mit seinen verfaulten
Zähnen an. »Es war schon richtig beim ersten Mal«, sagt er. »Adieu.«
    Â Â 53  
    Mir läuft die Zeit davon.
    Die Métro war extrem langsam – angeblich wegen Gleisarbeiten
–, und es dauerte endlos, bis ich zu G.s Haus zurückkam. Dabei sollte ich
inzwischen in einem Taxi sitzen, anstatt zum Loft hinaufzurennen.
    Lili ist zu Hause. Sie sieht fern und telefoniert
gleichzeitig – mit G., nehme ich an. Es scheint irgendwelche Schwierigkeiten
mit seinem Flug zu geben. Ein paar Minuten später legt sie auf.
    Â»Die Flughafenangestellten haben die Arbeit niedergelegt«,
sagt sie.
    Â»Was?Das gibt’s doch nicht!« Doch nicht jetzt! Nicht heute Abend!
    Â»In Orly und DeGaulle herrscht Chaos. G. sollte heute Abend
nach Hause kommen, aber sein Flug wurde abgesagt. Er versucht, einen Platz im
Zug zu bekommen, aber das ist schwierig. Offensichtlich hatten alle anderen
dieselbe Idee.«
    Â»Wann war das?«, frage ich sie.
    Â»Sie haben es vor etwa einer Stunde durchgegeben.«
    Ich lasse meine Tasche fallen. »Ich kann’s nicht glauben«,
sage ich total niedergeschmettert.
    Â»Andi? Was ist denn los? Ach! Ich hatte ja völlig vergessen,
dass du heute Abend abreisen wolltest. Hat dich die Fluggesellschaft nicht
angerufen?«
    Â»Vielleicht. Ich weiß
nicht. Ich habe in der U -Bahn festgesteckt.«
    Ich höre meine Mailbox ab, und natürlich habe ich eine
Nachricht bekommen.
    Â»Was sagen sie?«, fragt Lili, als ich mein Handy wegpacke.
    Â»Dass mein Flug ebenfalls gestrichen ist«, antworte ich.
    Â»Tut mir leid, Andi. Ich weiß, du wolltest zu deiner Mutter.«
Sie kommt herüber und legt den Arm um mich. »Wenigstens können wir dich so noch
ein paar Tage bei uns behalten. G. und ich sind sehr glücklich, dich hier zu
haben.«
    Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Danke, Lili«, antworte ich.
    Sie erklärt, dass sie auf dem Weg zu einem Abendessen mit ein
paar Studenten sei, dass es in der Küche Brot, Schinken und Käse gebe und dass
ich mir davon nehmen soll.
    Ich danke ihr, nehme meine Tasche, gehe in mein Zimmer und
setze mich aufs Bett. Das habe ich nicht vorhergesehen, obwohl es die

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