Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Doch als wir von dem erfuhren, was man sich von Montségur berichtete, und in dem Zusammenhang Ihr Name genannt wurde … Ich nehme an, dass man sich in der Nuntiatur in Paris über Sie informiert hat.«
»Man wollte also, nachdem man meine Arbeit über Bruder Julián gelesen hatte, wissen, was für ein Mensch dahintersteckt, nicht wahr?«
Statt sogleich zu antworten, lächelte der Priester. Offenbar wollte er Zeit gewinnen. »Sie sind in der gesamten Universität anerkannt. Ihre Arbeit über Bruder Julián ist äußerst fesselnd. Der Mönch tritt lebendig vor den Leser.«
»Das war er ja auch. Ein Mann wie Sie und ich, den der Zweifel quälte. Da er Gott und zugleich seiner Familie die Treue halten wollte, konnte es nicht ausbleiben, dass er in einen Zwiespalt geriet.«
»Ja, er ist zum Verräter an Gott geworden, während er seiner Familie gegenüber treu war, einer Familie, die ihn nicht einmal anerkannt hat.«
»Ist es wirklich Ihre Überzeugung, dass er zum Verräter an Gott geworden ist?«
»Ja«, gab der Priester zurück.
»Da bin ich anderer Ansicht. Er wollte einfach beiden Seiten gerecht werden, ohne an Gott zu zweifeln.«
»Er wusste nicht, welchem Gott er dienen sollte.«
»Er hat stets demselben gedient, denn es gibt nur einen, ganz gleich wie man ihn nennt, auf welche Weise man zu ihm betet oder ihn wahrnimmt. Er hat nie dem Kreuz abgeschworen, obwohl ihn anwiderte, was in dessen Namen geschah. Wäre es Ihnen nicht ebenso gegangen?«
Der junge Priester zögerte mit der Antwort. Wie hätte er sich gefühlt? Hätte er das fanatische Verhalten derer, die er für seine Brüder hielt, ertragen können?
»Man kann Menschen nicht außerhalb ihres Lebenszusammenhangs beurteilen«, sagte er schließlich. »Man darf historische Ereignisse nicht mit unseren Augen betrachten.«
»Jetzt verstehe ich, warum Sie trotz Ihrer Jugend bereits im ›Außenministerium‹ des Vatikans arbeiten.«
Aguirre lachte so herzlich, dass Arnaud ihn verwirrt ansah.
»Aber das stimmt doch gar nicht. Seine Exzellenz Grillo hat doch schon gesagt, dass ich nur in diesem Sommer vorläufig dort bin, weil mein Superior, der mit Seiner Exzellenz gut bekannt ist, ihn gebeten hat, mich dort arbeiten zu lassen, damit ich praktische Erfahrungen sammeln kann. Ich bin da so eine Art Mädchen für alles: Ich mache Ablage, hole Kaffee, korrigiere Briefe und Übersetzungen … genau genommen hat mich Seine Exzellenz mit nach Frankreich genommen, weil sein Sekretär um Urlaub gebeten hat. Ich glaube, seine Mutter ist krank, und so hat man ihm die Erlaubnis erteilt, sie zu besuchen. Auf diese Weise bin ich in den Genuss dieser Reise gekommen.«
»Sie sprechen gut Französisch.«
»Ich stamme aus dem Baskenland.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Eine meiner Tanten ist mit einem Franzosen aus Biarritz verheiratet, und so habe ich mehrere Jahre hindurch meine Sommerferien zusammen mit meinen dortigen Vettern und Kusinen verbracht. Man sagt, dass mir Sprachen leichtfallen. Mein Superior behauptet, wer Baskisch spricht, könne ohnehin jede Sprache lernen.«
»Ohne indiskret sein zu wollen – was hat Sie bewogen, Priester zu werden?«
»Die Berufung, Gott zu dienen. Meine Eltern haben mich auf eine kirchliche Schule geschickt. Sie wissen ja, wenn Leute wenig Geld haben, ist das für sie das Günstigste. Dort habe ich gemerkt, dass ich berufen bin. Bekanntlich stammt der heilige Ignatius von Loyola aus unserem Teil Spaniens, und ein entfernt mit meinem Vater verwandter Jesuitenpriester hat mich in meinem Berufswunsch unterstützt. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich in den letzten Jahren in Rom studieren konnte.«
»Ihnen gehört die Zukunft. Eines Tages werden Sie bestimmt
noch Papst. Ohne Soutane sehen Sie aber gar nicht aus wie ein Priester, sondern wie ein normaler junger Mann …«
»Ich bin Jesuit und diene dort, wohin man mich schickt. Aber das mit dem Papst dürfte schwierig werden«, gab Ignacio Aguirre fröhlich zurück. »Sind Sie gläubig?«
»Nein, ich bin Agnostiker, habe aber tiefe Achtung vor allen Menschen, die an Gott glauben.«
»Obwohl Sie sich als Agnostiker bezeichnen, sprechen Sie von Gott, als existierte er für Sie.«
»Nein. Für mich gibt es da keinerlei Gewissheit, lediglich Respekt für den Glauben anderer. Auch meine Eltern sind Agnostiker, und ich habe in all den Jahren nirgends eine Spur von Gott gesehen. Daher kommt es mir fast wie ein Wunder vor, dass ich nach wie vor Agnostiker und nicht
Weitere Kostenlose Bücher