Das Blut der Unschuldigen: Thriller
habe am 16. März 1944, also am siebenhundertsten Jahrestag der Übergabe der Burg, Montségur überflogen. Vor allem aber wird gemunkelt, die Leute hätten dort etwas gefunden, was unserer Kirche gefährlich werden könnte.«
»Und das macht Ihnen Sorgen? Nachdem die Nazis Millionen von Menschen in Gaskammern umgebracht haben, traue ich denen alles zu, und mich kann da nichts mehr überraschen. Allerdings bin ich überzeugt, dass man im Zusammenhang mit Montségur so manches Lügengewebe gesponnen hat. Aber mich lässt das kalt. Fast alles, was über Montségur und den Katharerschatz veröffentlicht wird, basiert auf Hörensagen. Kurz gesagt, ich glaube nicht, dass man etwas gefunden hat, was der katholischen Kirche Schwierigkeiten machen könnte, es sei denn, dass es ein schändliches Geheimnis gäbe, das auf keinen Fall bekannt werden darf.«
»Die katholische Kirche hat keine schändlichen Geheimnisse«, betonte Nevers, unübersehbar gekränkt.
»Von mir aus. Mich könnte das ohnehin nur als Historiker reizen, und im Augenblick tut es nicht einmal das«, gab Arnaud kalt zurück.
»Was ist Ihrer Ansicht nach der Gral?«, fragte ihn Grillo so ruhig, als hätte er die gereizte Stimmung zwischen den Herren Nevers und Arnaud nicht bemerkt.
»Ich ahne es nicht. Das müssten schon Sie mir sagen. Ich glaube nicht, dass der Kelch, den Jesus beim letzten Abendmahl benutzt hat, jetzt, zweitausend Jahre später, noch existiert, und
das werden Sie sicher verstehen. Sollte etwa einer der Jünger an jenem Abend an die Nachwelt gedacht und beschlossen haben, ihn aufzubewahren? Warum dann nicht auch die Teller, von denen sie gegessen haben? Die ganze Vorstellung ist aberwitzig, und das ist Ihnen ebenso klar wie mir. Reliquien und alles, was damit zusammenhängt, haben mich nie interessiert. Soweit mir bekannt ist, glauben Millionen von Menschen reinen Herzens, dass dieser oder jener Knochen von einem Heiligen stammt oder ein Holzsplitter Teil des Kreuzes war, an das man Christus genagelt hat. Warum dann nicht auch, dass der Kelch des letzten Abendmahls bis auf den heutigen Tag existiert? Doch das sind Ammenmärchen, an die bestimmt auch Sie nicht glauben. Der religiöse Glaube ist etwas völlig anderes, Gott ist etwas völlig anderes.«
»Wir wussten gar nicht, dass Sie Theologe sind«, spottete Grillo.
»Und ich halte Sie nicht für Dummköpfe, andernfalls hätte die Kirche keine zweitausend Jahre überdauert«, konterte Arnaud.
»Gut, bis hierher und nicht weiter«, machte Grillo dem Wortgefecht ein Ende. »Zur Sache. Könnten Sie uns behilflich sein zu erkunden, worum es sich bei dem in Montségur Gefundenen handelt?«
»Da es nichts zu finden gab, gibt es auch nichts zu erkunden.«
»Für die Kirche ist es wichtig zu wissen, worauf sie sich einstellen muss«, sagte Nevers.
»Sie braucht sich auf nichts einzustellen. Sofern es sich um ein Lügengewebe handelt, dürfte es sich mit Leichtigkeit zerreißen lassen.«
»Könnten Sie den Grafen noch einmal aufsuchen und feststellen,
was hinter den Gerüchten steckt?«, bat ihn Grillo offen. »Vielleicht könnte einer von uns Sie dabei begleiten.«
»Meine Beziehung zu dem Herrn ist … sagen wir, gespannt, eben weil ich mich stets von seinen Arbeitsgruppen ferngehalten habe. Wenn ich in Begleitung käme … Unter Umständen könnte ich allein hinfahren und mein Glück versuchen, möchte aber noch einmal betonen, dass er von meiner Arbeit nicht unbedingt hingerissen ist und ich nicht weiß, wie er mich empfangen würde. Ihnen«, sagte er zu Grillo gewandt, »sieht man den Priester auf den ersten Blick an. Von Monsignore Nevers meine ich schon einmal Fotos in Zeitungen gesehen zu haben, und da besteht die Gefahr, dass der Graf Sie erkennen würde. Daher wäre äußerstenfalls …«
»Ja?«, fasste Grillo nach.
»Nun, Sie sehen nicht unbedingt wie ein Priester aus«, sagte Arnaud zu dem Jüngsten der drei. »Vielleicht könnte ich Sie auf der Burg als einen meiner Studenten einführen.«
Ignacio Aguirre fuhr erschrocken zusammen, als sich alle Blicke auf ihn richteten, und er sah Grillo hilfesuchend an.
»Ach, unser junger Freund! Ein fähiger Jesuit, der es mit seinen Gaben im Staatssekretariat des Vatikans weit bringen kann. Noch aber ist er lediglich ein Gehilfe ohne fertige Ausbildung und Erfahrung. Er begleitet mich, weil ihn mir sein Superior für die Sommermonate sozusagen ausgeliehen hat, damit er praktische Erfahrung sammelt.«
Grillo und Nevers tauschten
Weitere Kostenlose Bücher