Das Blut der Unschuldigen: Thriller
haben?«
»Ich komme todmüde nach Hause, und du sagst mir, dass unser Sohn da ist, mit einem Gesicht, als ob das ein wer weiß wie schwerer Schicksalsschlag wäre. Was ist? Findest du es so schlimm, dass er geheiratet hat, ohne mich um Erlaubnis zu bitten? Natürlich hätte er das tun müssen, aber Hassans Schwester … Das ist doch eine Ehre für uns. Bestimmt wird er uns erklären, warum er nicht wenigstens vorher Bescheid gesagt hat.«
»Natürlich. Hast du Hunger?«
»Ein bisschen. Aber ich trinke nur ein Glas Milch und esse ein Stück Kuchen, dann lege ich mich hin. Weck mich aber, wenn der Junge aufgestanden ist. Was ist mit Laila?«
»Schläft auch noch.«
»Schon. Aber hat sie ihren Bruder gesehen?«
»Gestern Abend.«
»Und?«
Das Verhalten seiner Frau begann Darwisch zu ärgern. Warum nur lief sie mit dieser Leichenbittermiene herum? Auch begriff er nicht, warum sie so unruhig wirkte und so einsilbig war. Sie war eine gute Ehefrau und hatte sich mit großer Hingabe der Erziehung ihrer beiden Kinder gewidmet. Mit ihrer Arbeit als Putzfrau hatte sie nicht nur das Wirtschaftsgeld der Familie aufgebessert, sondern auch dazu beigetragen, dass Mohammed und Laila zur Schule gehen und einen ordentlichen Beruf ergreifen konnten.
Er setzte sich seufzend hin. Müde, wie er war, konnte er diesen sonderbaren Dingen jetzt nicht auf den Grund gehen. Er würde später mit Mohammed und dessen Frau sprechen.
Er erwachte erst um zwei Uhr nachmittags. Es fiel ihm
schwer, die Augen zu öffnen, doch seine Frau erinnerte ihn daran, dass Mohammed da war, und ließ nicht locker, bis er aufstand.
»Gib mir ein paar Minuten Zeit, damit ich mich waschen kann. Wo ist er?«
»Sie sind alle im Wohnzimmer. Wir wollen essen.«
»Warum hast du mich nicht früher geweckt?«
»Der Junge wollte, dass du dich ausschlafen kannst …«
»Und Laila?«
»Ist heute morgen ausgegangen. Sie kommt bald wieder.«
»Dann können wir ja alle gemeinsam essen. Ich hoffe, du bringst etwas Besonderes auf den Tisch; immerhin haben wir unseren Sohn zwei Jahre lang nicht gesehen.«
»Es gibt Kuskus mit Hammel. Ich weiß, dass ihr das alle gern esst.«
Als Darwisch ins Wohnzimmer trat, kam er kaum dazu, einen Blick auf seinen Sohn zu werfen, weil sich ihm dieser sofort in die Arme warf.
Fatima stand mit den Kleinen schüchtern in einer Ecke.
Er hieß die Schwiegertochter in der Familie willkommen und begrüßte ihre Kinder. Sicher würde es eine Weile dauern, bis er sich an den Gedanken gewöhnt hatte, dass sie seine Enkel waren und er sie als solche behandeln musste.
Laila war noch nicht zurück. »Wir warten noch«, sagte die Mutter zu Mohammed, »bestimmt kommt sie bald. Samstags essen wir immer zusammen. Es ist einer der wenigen Tage, an denen sie nicht arbeitet.«
»Wir müssen über sie reden«, sagte Mohammed rau. Sie sah Darwisch besorgt an.
»Wieso das?«, fragte dieser, obwohl er sich die Antwort denken konnte.
»Sie geht ohne Hidschab aus dem Haus und unterrichtet, wie sie mir selbst erzählt hat, in einer Koranschule, die sie betreibt. Ich schäme mich, eine solche Schwester zu haben.«
»Dazu gibt es keinen Grund«, gab der Vater zurück. »Sicher, sie ist ungestüm, aber als gläubige Moslemin ist sie nie auch nur einen Fingerbreit von der Lehre des Korans abgewichen … Wir können später über sie reden. Jetzt, mein Sohn, erzähl von dir … von deiner Frau und den Kindern. Auch sag mir, was es aus Frankfurt Neues gibt. Du sollst wissen, Fatima, dass wir deinen Bruder Hassan als unseren geistlichen Führer betrachten, und so sehen wir es als Ehre an, dass unsere Familie durch dich mit ihm verbunden ist.«
Da Mohammed unter vier Augen mit dem Vater reden wollte, schickte er Fatima und die Kinder mit dem Auftrag in die Küche, dort der Mutter zu helfen. Dann berichtete er in allen Einzelheiten, was in Frankfurt geschehen war.
Darwisch empfand jedes Wort Mohammeds wie einen Faustschlag in den Unterleib. Es war gut und schön, die Ansichten der Gruppe zu teilen, deren Mitglieder zu schützen, davon zu träumen, dass der Islam eines Tages die Religion aller Menschen sein und den Christen nichts anderes übrig bleiben würde, als sich zu ihm zu bekehren – tatsächlich traten in Granada immer mehr Spanier zum Islam über –, doch aus dem Munde des eigenen Sohnes zu erfahren, dass er ein Mudschahed geworden war, bereit zu töten und zu sterben, machte ihn fassungslos. Er hatte keine Worte, als er erfuhr, dass sich
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