Das Blut der Unschuldigen: Thriller
verärgern, waren sie mucksmäuschenstill.
Mohammed unterhielt sich nach wie vor im Wohnzimmer mit dem Vater. Obwohl die Tür geschlossen war, hörte Fatima ab und zu die schrille Stimme ihres Mannes. Sie strich den Kindern über den Kopf und flüsterte ihnen zu, dass sie brav sein und bald zu Bett gehen sollten, um den Erwachsenen nicht im Weg zu sein. Die Kleinen wagten nicht zu widersprechen, doch konnte sie in ihren Augen sehen, wie traurig und in tiefster Seele aufgewühlt sie waren. Zu ihrem großen Bedauern durfte sie sich davon nicht beeindrucken lassen. Die Dinge waren, wie sie waren; sie hatte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Zwar konnte sie Laila gut leiden, doch war ihr klar, dass die Schwägerin mit ihrer Starrköpfigkeit im Begriff stand, eine Katastrophe heraufzubeschwören. Eine Frau musste gehorchen und tun, was die Männer beschlossen und für richtig hielten. Sie wusste nicht, was Laila wollte, doch was auch immer es war, sich damit durchsetzen zu wollen war ein Fehler.
Vater und Sohn sprachen nach wie vor über das Vorgefallene. »Das hier ist mein Haus, und ich habe zu bestimmen, was geschieht. Wenn deine Schwester Strafe verdient, bin ich dafür zuständig. Also werde ich …«
»Du bist doch gar nicht fähig, sie zu bändigen«, fiel ihm Mohammed ins Wort. »Es ist eine Schande, dass sie sich wie eine Ungläubige anzieht, und dann geht sie auch noch ohne Hidschab auf die Straße! Mich wundert, dass sie sich nicht schämt, so vor uns zu treten. Damit muss jetzt Schluss sein. Sie darf nicht in ihre Kanzlei zurück. Vor allem aber muss sie
darauf bedacht sein, die Gruppe nicht weiterhin dadurch zu reizen, dass sie gläubigen Mosleminnen ihre sonderbaren Vorstellungen einimpft. Laila als Koranlehrerin! Das ist doch der helle Wahnsinn! Wenn wir nicht wollen, dass unsere Brüder uns wegen unseres Mangels an Frömmigkeit zur Rechenschaft ziehen, müssen wir verhindern, dass sie damit weitermacht. Hassan hat mir klipp und klar gesagt, wenn wir der Sache kein Ende bereiten, wird sich die Gemeinschaft darum kümmern. Was für Männer sind das, die es nicht fertigbringen, dass ihnen die Frauen im eigenen Hause gehorchen?«
»Du lässt sie zufrieden«, beschied ihn sein Vater, »ich spreche morgen mit ihr.«
»Aber wenn du es nichts schaffst, sie zur Vernunft zu bringen, knöpfe ich sie mir vor.«
Das Telefon klingelte, und Mohammed nahm ab.
»Wer ist da?«, fragte er.
Während er zuhörte, stieg ihm die Zornesröte erneut ins Gesicht.
»Nein. Meine Schwester ist nicht hier. Sie haben kein Recht, sich nach ihr zu erkundigen. Sie brauchen nicht wieder anzurufen.«
Der Vater sah ihn erwartungsvoll an. Er hätte gern gewusst, wer der Anrufer war, doch Mohammed schlug wieder mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Ein Mann wollte mit ihr sprechen! Dieser Schamlose hat die Stirn, bei uns zu Hause anzurufen. Wieso habt ihr es nur dahin kommen lassen?«
»Mohammed, mein Sohn, wir leben in Spanien. Du musst dir klarmachen, dass es nicht einfach ist, deiner Schwester alles zu verbieten. Sie geht zur Arbeit, kommt dabei mit Menschen in Berührung. Du hast in Deutschland gelebt und weißt, dass Frauen und Männer dort Seite an Seite arbeiten. Sogar in unserer
Heimat Marokko ist es in den Städten inzwischen ebenso. Es kommt doch letztlich einzig und allein darauf an, wie sich die Frauen aufführen. Ich versichere dir, dass Laila nie etwas getan hat, dessen wir uns schämen müssten. Sie ist eine brave Tochter und eine gläubige Moslemin.«
»Wieso nimmst du sie in Schutz? Ist dir die Bedeutung von all dem, was sie getan hat, eigentlich nicht klar? Welchen Sinn hat unser Kampf, wenn sich unsere Frauen wie gewöhnliche Straßendirnen aufführen?«
»Um diesen Krieg zu gewinnen, müssen wir umsichtig sein und unauffällig vorgehen. Wir können Laila hier nicht einsperren. Sie muss weiterhin ihre Arbeit tun …«
»Ab sofort wird sie sich anders benehmen und das Haus nicht ohne Kopftuch verlassen. Ich verbiete es ihr.«
Vater und Sohn sahen einander an. So redeten sie schon seit Stunden. Die Auseinandersetzung mit Laila hatte bei beiden ihre Spuren hinterlassen. Es war Zeit, dass jeder für sich über die Sache nachdachte.
»Warum zeigst du deiner Frau nicht die Stadt ein wenig? Es ist noch nicht sehr spät. Deine Mutter kümmert sich bestimmt gern um die Kinder. Das Abendessen kann sie euch später machen.«
»Ja, ein bisschen an die frische Luft zu gehen würde mir sicher
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