Das Blut der Unschuldigen: Thriller
Behinderte im Wagen hatten und deswegen einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs brauchten.
»Bist du aufgeregt?«, fragte die Kusine.
»Nein, glücklich«, gab Ylena zur Antwort.
Sie warteten in der Kassenschlange, und als sie an der Reihe waren, löste ihr Bruder die Eintrittskarten.
Die Wächter am Eingang achteten nicht besonders auf die Besucher und ersparten ihnen sogar den Gang durch die Metalldetektor-Schleuse. Freundliche Angestellte besprachen mit den Reiseleitern der einzelnen Gruppen den Ablauf ihres Besuchs innerhalb des Palastes, worauf sich diese prompt beklagten, dass man ihnen einen bestimmten Weg vorschreibe, statt es ihnen wie gewohnt zu überlassen, in welcher Reihenfolge sie was besichtigen wollten.
»Die Leute sind nicht die Spur misstrauisch«, sagte Ylenas Vetter befriedigt, als sie die erste Kontrolle hinter sich hatten.
»Wieso auch? Schließlich sind wir einfache Touristen«, gab ihr Bruder zurück.
Auch am zweiten Eingang, dem unter Soliman dem Prächtigen erbauten Begrüßungstor oder Bab U Selam, legte man ihnen keine Hindernisse in den Weg.
»Wir suchen jetzt auf kürzestem Weg den Raum mit den Reliquien auf«, sagte Ylena zu ihrer Kusine, die nach wie vor den Rollstuhl schob.
»Sei doch nicht so ungeduldig. Lass uns doch erst mal dies und jenes ansehen, ganz wie richtige Touristen«, schlug diese vor. »Wir könnten doch hier mit dem Harem anfangen.«
Missmutig stimmte Ylena zu. Sie sah keinen Grund, ihre Rache noch länger hinauszuzögern.
Sie betraten den Harem und betrachteten wie die übrigen Besucher neugierig die Räume, in denen einst die Gemahlinnen und Nebenfrauen der Sultane und ihrer Söhne gelebt hatten.
Als die Italiener, denen sie bereits am Eingang begegnet waren, den Harem verließen, machten sie derbe Späße über die Odalisken und fotografierten zugleich eifrig mit ihren Digitalkameras. Eine andere Touristengruppe kam herein. Es waren Türken, lauter Männer. Ylena ärgerte sich über die mitleidigen Blicke, die sie ihr zuwarfen. Wenn ihr wüsstet, was ich vorhabe, würdet ihr Angst vor mir haben, statt mich zu bemitleiden , dachte sie.
»Warum gehen wir nicht weiter?«, fragte sie ungeduldig.
Während ihre Kusine sie dem Ausgang entgegenschob, mahnte ihr Bruder zur Geduld.
»Werd bloß nicht nervös.«
»Das bin ich nicht, ich will nur die Sache hinter mich bringen.«
»Man könnte glauben, dass es dir mit dem Sterben eilt«, hielt ihr der Vetter vor.
»Da hast du Recht – genau so ist es.«
Durch das früher ausschließlich dem Sultan vorbehaltene und als Bab U Saadet bezeichnete Tor der Glückseligkeit gelangten
sie zum Arz Odasi, dem Audienz- oder Bittschriftensaal des Großwesirs.
Die Gruppe der türkischen Touristen näherte sich ihnen. Ihr Führer erklärte jede Einzelheit: »Rechts sehen Sie die Schatzkammer der früheren Residenz Mehmets II., der als der Eroberer bekannt geworden ist. Hier werden einige der Geschenke aufbewahrt, die er empfangen hat. Links von diesem Hof … genau da« – er wies auf eine weitere Tür – »befinden sich die Räume, in denen die heiligen Reliquien aufbewahrt werden. Ab dem Jahr 1517 kamen nach und nach Gegenstände aus dem Besitz des Propheten Mohammed hierher, die man bis dahin teils in Mekka und teils in Kairo aufbewahrt hatte. Dort können Sie Schwerter, Barthaare, einen der Zähne, die Fahne und den heiligen Umhang des Propheten sehen … Mit Ausnahme der Fahne, die bei manchen Gelegenheiten in feierlichem Zug durch die Stadt geführt wurde, konnten deren Bewohner diese Reliquien ursprünglich nicht besichtigen. Dort, wo sie aufbewahrt werden, tragen Vorleser Tag und Nacht Koransuren vor. Folgen Sie mir, wir werden gleich das Glück haben, uns diese Schätze ansehen zu dürfen. Sie sind für den Islam ebenso bedeutsam wie für die Katholiken das in Turin aufbewahrte Grabtuch Christi oder die Überreste des Kreuzes, die sich in verschiedenen Kathedralen, Kirchen und Basiliken Mitteleuropas befinden.«
Ylena sah ihre Kusine an, und diese begriff, dass sie nicht länger warten sollten. Daher schob sie den Rollstuhl dem Eingang des Reliquiensaales entgegen. Sie merkte, dass sich ihr Unterleib verkrampfte.
Mit einem Mal umstellte eine Gruppe bewaffneter Polizisten, die wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, die vier. Zu spät begriff Ylena, dass die türkischen »Touristen« in Wahrheit
Sicherheitsbeamte in Zivil waren und sich außer ihnen niemand auf dem großen Platz befand.
Die Verwirrung der
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