Das Blut der Unsterblichen
hierherzukommen, um sich zu erklären und sich anschließend unserem Urteil zu stellen?“
Leila schüttelte den Kopf, was ein erneutes Raunen hervorrief. „Wenn der Rat sich gegen meine Mutter ausspricht, werde ich sie verlieren.“
„Ich garantiere für ihre Sicherheit“ erwiderte Nahum. „Wir werden sie nicht hinrichten, doch wenn sie in unserer Gemeinschaft aufgenommen werden will, muss sie sich unserer Gerichtsbarkeit stellen!“
„Das heißt, sie darf wieder gehen, auch wenn der Rat beschließen sollte, sie nicht aufzunehmen?“, fragte Leila und blickte in die Runde. Alle sahen Nahum erwartungsvoll an. Tian machte ein besorgtes Gesicht.
„Ich schwöre dir, dass deiner Mutter nichts geschehen wird und garantiere freies Geleit, für den Fall, dass sich der Rat gegen ihre Aufnahme entscheiden sollte“, schwor Nahum feierlich.
„In Ordnung“, sagte Leila, zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte Marcus’ Nummer.
29
Marcus lief nervös im Zimmer umher, während Kristina auf dem Bett saß und grübelte. Da sie sich nicht über ihre weitere Vorgehensweise einig werden konnten, hatte Marcus Philippe kontaktiert. Dieser versprach, nach London zu kommen und beim Ältestenrat vorzusprechen, doch eine endgültige Lösung konnte auch er nicht bieten. Philippe hatte zwar einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen des Rates, doch ob er in der Lage sein würde, sie umzustimmen, bezweifelte Marcus. Immer wieder versuchte er, Kristina von einem Rückzug zu überzeugen. Er bot ihr an, sie an jeden beliebigen Ort dieser Welt zu bringen und ein paar Monate oder Jahre abzuwarten, bis Gras über die Geschichte gewachsen war. Als Alternative schlug er vor, sie mit nach New York zu nehmen und bei seinem ehemaligen Vorgesetzten, Adalar Thanel, vorzusprechen und dort um ihre Aufnahme in die Gemeinschaft zu bitten. Doch davon wollte sie nichts wissen. Ohne Leila würde sie diese Stadt nicht verlassen, beharrte sie.
„Wie du willst“, sagte Marcus seufzend. „Doch wir können nicht ewig in diesem Hotel bleiben, die Sucher werden uns früher oder später finden.“
Kristina reagierte gereizt. „Das ist mir bewusst, Marcus, doch ohne Plan, gehe ich nicht fort.“
Marcus gab einen missmutigen Laut von sich. „Was ich versuche, dir zu sagen ist, dass wir uns eine andere Bleibe suchen müssen. Wir bleiben natürlich in London, aber nicht in diesem Hotel.“
Kristina antwortete nicht. Sie hatte keine Lust, schon wieder umzuziehen. Sie wollte endlich ihre Tochter sehen. Warum sonst hatte sie sich bereit erklärt, eine Unsterbliche zu werden, wenn nicht, um mit Leila wiedervereint zu werden?
„Weißt du was“, fuhr Marcus fort. „Lass uns noch einmal jagen gehen. Falls es zu einer Auseinandersetzung kommt, sind wir wenigstens gestärkt.“
Kristina zuckte mit den Schultern. „Von mir aus.“
Sie erhob sich und schlurfte in das Badezimmer. Der Anblick der dunklen Linien unter ihrer Haut war noch immer gewöhnungsbedürftig, doch das insgesamt jugendlichere Aussehen machte diese Kuriosität wieder wett. Das Beste daran war, dass es für eine sehr lange Zeit so bleiben würde. Marcus hatte ihr erklärt, dass sie auch als Unsterbliche altern würde, jedoch nicht wie ein Mensch. Was sich bei einem Sterblichen innerhalb von siebzig oder achtzig Jahren vollzog, war bei Unsterblichen ein Jahrhunderte währender Prozess. Sie hatte also noch unzählige Jahre vor sich, wovon sie mindestens zwei Drittel der Zeit jugendlich aussehen würde. Welche Frau hörte so etwas nicht gerne?
Marcus’ Handy klingelte. Kristina horchte auf. War es Philippe? Hatte er Neuigkeiten? Sie spritzte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und eilte zu Marcus zurück.
„Wo sollen wir hinkommen?“, hörte sie ihn fragen.
Kristina wartete gespannt. Wollte Philippe sich mit ihnen treffen?
„Hast du die Adresse?“, fragte er. Wieder eine kurze Pause.
„Okay, das ist kein Problem. Sag ihnen, dass wir in ungefähr einer Stunde ankommen werden. Ich bin froh, dass es dir gut geht.“
Kristina stutzte. Das war nicht Philippe am anderen Ende der Leitung. Sie konzentrierte sich auf die Stimme.
„Bis gleich, deine Mutter wird sich freuen“, sagte Marcus und legte auf.
„War das Leila?“, fragte Kristina.
Marcus nickte. „Ja, sie befindet sich beim Ältestenrat. Wir wurden gebeten, dort zu erscheinen, sogar unter Garantie für deine Sicherheit.“
Kristina stemmte die Arme in die Hüfte. „Unglaublich! Du hast
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