Das Blut der Unsterblichen
schwarzen, schulterlangen Haare, die er immer offen trug. Sogar sein anämisches Aussehen. Mit schmerzhafter Intensität wünschte sie sich, diesen perfekten Augenblick festhalten zu können. Diesen Moment ungetrübten Glücks.
Ihre Freundinnen fragten nach dem geheimnisvollen Mann und wollten ihn kennenlernen, allen voran Pia, doch weder Kristina noch Marcus hatten Interesse an einem Treffen. Marcus behauptete, durch sein Einzelgängerdasein kein vorzeigbarer Gefährte zu sein und Kristina war es egal. Sie war zufrieden, solange sie nur mit ihm zusammen sein konnte.
An einem der letzten warmen Tage des Jahres liefen sie Hand in Hand durch den Park. Der Himmel war bewölkt und eine frische Brise fegte das Laub von den Bäumen. Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Kristina genoss die mittlerweile vertraute Nähe und die Liebesbeweise in Form von Küssen, zärtlichen Berührungen und liebevollen Worten. An diesem Tag jedoch war Marcus ungewöhnlich schweigsam und in sich gekehrt. Sie betrachtete ihn besorgt.
„Du wirkst heute so abwesend“, sagte sie. „Ist etwas passiert?“
Marcus schüttelte den Kopf. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich bin nur in Gedanken.“
„Das sehe ich. Worüber grübelst du nach?“
Marcus lächelte sie an und drückte einen Kuss auf ihre Stirn. „Alles Mögliche, aber vor allem denke ich über unsere Zukunft nach. Ich weiß, dass wir uns erst seit drei Monaten kennen, aber ich frage mich ständig, wie es mit uns weitergehen wird.“
„Darüber denkst du nach? Lass es sich doch einfach entwickeln“, schlug Kristina vor.
Marcus’ Gesicht verdüsterte sich. „So einfach ist das leider nicht. Ich kann jetzt noch nicht darüber sprechen, aber es gibt da ein paar Dinge, mit denen ich ins Reine kommen muss.“
Dass er oft grübelte, hatte Kristina sehr wohl bemerkt, auch dass er Geheimnisse hatte. Bisher hatte sie es jedoch vorgezogen, ihn nicht danach zu fragen. Allerdings bereiteten ihr seine Grübeleien zunehmend Sorgen. „Ich wünschte, du würdest mir endlich sagen, welcher Art diese Dinge sind. Glaube nicht, dass ich nicht sehe, wie oft du in Gedanken versunken bist und dabei ein sorgenvolles Gesicht machst. Warum willst du deine Sorgen nicht mit mir teilen?“
„Ich weiß, ich erwarte viel, wenn ich dich immer wieder darum bitte, abzuwarten, aber ich kann es dir zu diesem Zeitpunkt noch nicht offenbaren. Du musst mir einfach vertrauen. Das Ganze hat nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun.“
Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich heran.
Er war vorsichtiger geworden im Umgang mit ihr. Auch wenn er in Erregung geriet, blieb er wachsam. In regelmäßigen Abständen kostete er ein paar Tropfen ihres kostbaren Blutes, wenn er sich sicher war, dass sie den Biss nicht bemerkte, und nährte sich ansonsten von Tieren.
Trotzdem war er wenige Tage zuvor gezwungen gewesen, eine Blutkonserve zu kaufen, denn die Gier nach Menschenblut war unbezwingbar geworden. Natürlich hatte Ellen nach seiner Beute gefragt und ob sie schmackhaft gewesen wäre. Er war versucht gewesen, zu lügen, doch ihre geblähten Nasenflügel hatten ihm gezeigt, dass sie noch immer Kristinas Geruch an ihm wahrnehmen konnte.
„Sie lebt noch?“, hatte Ellen überrascht gefragt.
Ein paar Sekunden lang hatte er fieberhaft nach einer Ausrede gesucht und zugleich versucht, gelassen zu wirken.
„Ich bin eben sehr geduldig. Schließlich habe ich ja Zeit, die Kleine läuft mir bestimmt nicht davon“, war schließlich sein kläglicher Erklärungsversuch.
Ellens Augen verengten sich. Sie war zwar keine geborene Unsterbliche und besaß somit nicht die Fähigkeit, seine Gedanken zu lesen, doch Unsterbliche, vor allem Weibliche, verfügten über ein gutes Gespür für Lügen.
„Du hast doch nicht etwa Gefühle für sie?“ Sie spie das Wort Gefühle aus, als würde es sie anwidern, auch nur daran zu denken, dass man Gefühle für eine Sterbliche haben könnte, und Marcus sah sich zu einer wirklich guten Erklärung genötigt.
„Sie ist für mich wie ein Schoßhündchen. Niedlich, man mag es gar nicht hergeben, aber im Grunde austauschbar und bedeutungslos.“
Ellen hob die Augenbrauen. „Ein Schoßhündchen, ja? Ich hoffe nur, du vergisst bei deinem Spiel die Regeln nicht. Sterbliche sind Nahrung, bestenfalls ein netter Zeitvertreib, jedoch keine Gefährten.“
Nach diesen warnenden Worten ließ sie den Motor an und warf ihm einen letzten verächtlichen Blick zu. „Ich verstehe dich
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