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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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zurückkommen würde, um sie und ihre Mutter umzubringen. Sie hatte es aufgegeben, mit ihrer Mutter über das Thema zu sprechen. Wann immer sie die Albträume zur Sprache brachte oder auch nur anzudeuten wagte, dass ihr Vater noch lebte, nahm ihre Mutter eine abwehrende Haltung ein und wiederholte monoton, welch wunderbarer Mensch Marcus gewesen sei und dass er definitiv nicht mehr unter den Lebenden weilte. Irgendwann schleppte sie Leila sogar zu ihrem Hausarzt. Er verwies sie an einen Psychologen. Leila fand die Sitzungen bei der Psychologin pure Zeitverschwendung, denn natürlich wurden die Träume ihrer frisch erblühten Weiblichkeit und der fehlenden Vaterfigur zugeschrieben.
    „Sie hat mir nach deiner Geburt das Leben gerettet, es wird dir helfen, glaube mir“, pflegte ihre Mutter zu sagen, wenn Leila den Sinn ihrer Psychologenbesuche infrage stellte, und damit war die Diskussion im Allgemeinen für sie beendet.
    Aber die Sitzungen bei der Psychologin halfen nicht. Die Albträume blieben. Leila fragte sich, ob Mutters sogenannte Rettung nicht eher ihrer langjährigen Einnahme von Psychopharmaka zuzuschreiben war, denn ihren Besuchen bei der Psychologin, aber sie hütete sich davor, dies anzudeuten. Ihre Mutter war auf die Tatsache, dass sie jahrelang nur mit Hilfe von Tabletten halbwegs einsatzfähig gewesen war, nicht gut zu sprechen. Wäre Nico in dieser Zeit nicht an ihrer Seite gewesen, hätte sie diese Show nicht so tapfer lächelnd durchgehalten. Wenn sie schlechte Laune hatte, brachte er sie zum Lachen. Sogar wenn sie sicher war, dass ihre Laune garantiert nicht aufgebessert werden konnte, schaffte er es irgendwie, ihre Stimmung zu heben.
    Sie mochte ihn gerne. Er gab ihr Halt und sie konnte mit ihm über alles reden. Als sie ihm von ihren Träumen erzählte, fand er zuerst ein paar tröstende Worte, dann schlug er vor, die Träume aufzuschreiben.
    „Das wird ein Hammer Splatter“, sagte er. „Und mal im Ernst, Leila, vielleicht hilft es dir ja, wenn du die Sachen aufschreibst.“
    Leila hatte sich in seine Arme geschmiegt und seinen Vorschlag ernsthaft in Erwägung gezogen. Vielleicht half es tatsächlich, wenn sie ihre Träume aufschrieb. Vielleicht konnte sie auf diese Weise erkennen, was sie ihr sagen wollten. Zeit hatte sie genug, denn zusätzlich zu ihren Albträumen, schlief sie mittlerweile schlechter als je zuvor. Sie schaffte es nie mehr als drei, höchstens vier Stunden am Stück zu schlafen. Dann wachte sie auf und wälzte sich im Bett herum oder starrte an die Decke. Meistens gelang es ihr nach einer Weile für weitere ein - oder zwei Stunden zu schlafen, wenn nicht, lief sie in ihrem Zimmer umher und grübelte. Sie grübelte über ihren Vater nach, den sie nie kennengelernt hatte und über ihre Mutter, die so anders war als andere Mütter. Und sie dachte über die Veränderungen nach, die sich, von Allen unbemerkt, vollzogen. Sie hatte ein hervorragendes Sehvermögen, und das hieß nicht einfach nur ganz normal sehen, wie normale Menschen sahen. Sie sah die Dinge so … klar. Wenn sie mit ihrer Mutter durch den Wald lief, konnte sie während des Laufens die Käfer sehen, die durch das Laub krochen und die Adern der Blätter. Sie erkannte die Gesichter weit entfernter Wanderer oder die exakte Maserung des Baumes neben ihnen. Sie stellte fest, dass sie diese Gabe nutzen konnte, wann immer sie wollte. Sie war in der Lage ihre Augen wie ein Okular einzustellen, Dinge näher heranzuholen und schärfer zu stellen.
    Sie musste sich außerdem bemühen, ihrer Mutter nicht davonzurennen, deren Lauftempo Leila mittlerweile wie ein Spaziergang vorkam. Die mannigfaltigen Veränderungen ihres Körpers und vor allem ihrer Körperkräfte ängstigten sie. Instinktiv wusste sie, dass ihre Gaben nicht alltäglich waren, dass niemand so war wie sie, also konnte sie es auch niemandem erzählen. Alle würden sie für verrückt halten.
     
    Für den folgenden Tag hatte Leila sich von Thea und Nadine zu einem Einkaufsbummel überreden lassen. Nicht, dass sie wirklich Lust darauf hatte. Wenn es danach ging, worauf sie Lust hatte, dann würde sie Tag und Nacht in Grübeleien versunken zu Hause herumsitzen und sich selbst bemitleiden. Sie fragte sich, warum sie ihre Andersartigkeit nicht einfach annehmen konnte. Warum glaubte sie immer, sie wäre eine Fehlproduktion, ein Freak?
    Die Türklingel schreckte sie aus ihren Grübeleien. Thea und Nadine waren da, um sie abzuholen. Schnell schnappte sie ihre Jacke von

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