Das Blut der Unsterblichen
zuhause sind“, sagte Tian. „Im Augenblick müssen wir uns um Wichtigeres kümmern. Es wäre eine Katastrophe, sollte Leila einen weiteren Anfall erleiden, während wir noch unterwegs sind. Die Ältesten würden uns dafür verantwortlich machen, wenn sie zahllose Sterbliche schmieren oder aus dem Weg schaffen müssten, um den Vorfall zu vertuschen.“
Leila hörte, wie der Reißverschluss ihres Koffers geschlossen wurde.
„So, fertig“, sagte Tian.
„Gut. Dann hol die Kleine aus der Wanne, damit wir aufbrechen können“, sagte Uljana.
23
Kristina war in heller Aufregung. Marcus hatte ihr gestanden, dass die Unsterblichen aufgrund von Leilas Anruf bald herausfinden würden, wo sie sich aufhielten, und dass sie nun gezwungen waren, umgehend aufzubrechen. Er schlug vor, durch den Eurotunnel nach Folkestone zu fahren und von dort aus weiter nach London. Kristina war mit allem einverstanden, solange sie nur in die Nähe ihrer Tochter gelangen würde. Die Tatsache, dass es Leila schlecht ging und sie kurz vor ihrer Verwandlung stand, quälte sie.
Estelle bestand darauf, dass Kristina frühstückte, bevor sie das Anwesen verließen und da sie nicht unhöflich sein wollte, tat sie wie geheißen. Den Milchkaffee bekam sie noch relativ leicht hinunter, doch das Croissant musste sie regelrecht hinunterwürgen.
Philippe bot an, sie nach London zu begleiten, doch Marcus lehnte ab. „Es ist zu gefährlich. Außerdem brauche ich dich beim Rat, wo du für uns sprechen sollst. Es wird für dich schon schwer genug sein, zu erklären, warum du uns Unterschlupf gewährt hast.“
Philippe nickte. „Du hast recht. Aber hast du dir schon überlegt, wie es weitergehen soll? Was ist, wenn sie euch erwischen?“
Marcus zuckte mit den Schultern. „Sie erwischen uns nicht. Wir müssen uns nur unauffällig verhalten und uns gut verstecken.“
„Wenn ihre Jagd erfolglos bleibt, werden sie die Sucher ausschicken, das weißt du“, warnte Philippe.
Marcus warf Kristina einen nervösen Blick zu, doch sie tat, als wäre sie mit ihrem Frühstück beschäftigt.
„Ich weiß“, sagte er. „Doch darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“
„Nun, ich habe mir jetzt schon Gedanken gemacht“, sagte Philippe. „Und bin zu dem Entschluss gelangt, dass du eine verbotene Verwandlung in Erwägung ziehen solltest. Eure Tochter ist eine geborene Unsterbliche. Alles, was ihr braucht, ist ihr Blut.“
Kristina verschluckte sich fast an dem Milchkaffee. An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht.
„Das habe ich mir auch schon überlegt“, sagte Marcus. „Vor allem jetzt, wo Leila sich sehr bald schon verwandeln wird. Aber welche Konsequenzen hätte das für uns?“
Philippe seufzte. „Das weiß ich nicht. Es hat sich bisher kaum ein Unsterblicher gewagt, sich über die Entscheidungen des Rates hinwegzusetzen und wenn doch, hat es kein gutes Ende genommen. Aber auch wenn du Kristina nicht verwandelst, stehen eure Chancen nicht besser, also ist es letztendlich egal, was du tust. Ihr müsstet euch nur noch eine Weile versteckt halten, bis Leilas Verwandlung abgeschlossen ist.“
Philippe wandte sich Kristina zu. „Würden Sie es überhaupt wollen, Kristina?“
Sie antwortete, ohne zu zögern. „Ja, natürlich. Mein menschliches Dasein bedeutet mir nichts, wenn ich es nicht mit Marcus und Leila teilen kann.“
Marcus lächelte sie liebevoll an. „Dann ist es entschieden. Sobald Leila verwandelt ist, werde ich sie aufsuchen und etwas Blut von ihr erbitten. Zwar sind wir damit noch lange nicht rehabilitiert, doch wenigstens bist du dann nicht mehr so hilflos und schwach.“
Kristina war erleichtert. Endlich hatten sie einen konkreten Plan, auch wenn es nicht leicht sein würde, ihn in die Tat umzusetzen. So vieles konnte schiefgehen. Wenn Leila noch nicht verwandelt war oder die Unsterblichen Marcus erwischten, wäre alles verloren. Als Mensch würde es Kristina niemals gelingen, auch nur in die Nähe ihrer Tochter zu gelangen.
Ein für die Jahreszeit ungewöhnlich sonniger Tag erwartete sie draußen. Der wolkenlose Himmel erstrahlte in kräftigem Blau. Durch das satte Grün der Wiesen, gepaart mit dem Duft nach Kornblumen und Lavendel und dem Zwitschern der Feldlerchen, mutete die Gefahr, in der sie schwebten, fast schon unwirklich an. Während Marcus zum Tor fuhr, bewunderte Kristina die wilde Landschaft und stellte sich vor, wie schön es wäre, wenn sie sich nicht auf der Flucht befänden. Sie
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