Das Blut der Unsterblichen
geschehen?“
Marcus winkte ab. „Es geht schon. Ich muss mich nur eine Weile hinlegen, damit sich mein Körper regenerieren kann.“
Kristina griff nach seiner Hand, ihr Blick fiel auf Glen. Er trug den kleinen Unsterblichen, der aussah, als hätte er in Blut gebadet. Sein Kopf war in einem unnatürlichen Winkel nach hinten gebogen, die Kehle zerfetzt. Blut tropfte aus seinem Hals und hinterließ eine dunkelrote Spur auf dem Kies. Bei dem Anblick stieg Übelkeit in ihr auf. Schnell wandte sie sich ab.
„Warum sind die beiden hier?“, flüsterte sie Marcus zu.
„Wir haben für den Moment eine Art Waffenstillstand geschlossen“, antwortete er.
Mittlerweile hatten sie den Eingang passiert. Philippe und Estelle wandten sich mit Glen nach links. Marcus blieb mit Kristina stehen. „Estelle“, rief er.
Sie hielt inne und wandte sich um. „Ja?“
„Wie viel Blut habt ihr noch vorrätig?“
„Nur noch einen Liter, aber wenn du etwas brauchst, können wir umgehend Neues bestellen oder du musst es dir mit dem Verletzten teilen“, schlug sie vor.
Marcus schüttelte den Kopf. „Ein Liter wird kaum genug sein, ihn am Leben zu halten. Ich werde warten, bis Nachschub kommt.“ Sein Gesicht verzerrte sich und er stöhnte leise.
Estelle musterte ihn besorgt. „Bist du sicher? Du siehst nicht gut aus.“
Marcus winkte ab. „Mach dir keine Sorgen, ich gehe einfach nach oben und warte. Ein wenig Ruhe wird mir gut tun. Zur Not schnappe ich mir ein Tier.“
Er griff nach Kristinas Hand und zog sie zur Treppe. Noch immer sickerte Blut aus seinen Wunden am Rücken, die Heilung hatte noch nicht eingesetzt. Kristina beäugte ihn besorgt, er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können.
Im Gästezimmer sank er stöhnend auf das Himmelbett, schloss die Augen und bewegte sich nicht mehr. Er sah fürchterlich aus, mit dem blutverschmierten, zerfetzten Gesicht und der fahlen, eingefallenen Haut.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte sie leise.
Zuerst reagierte er nicht und Kristina befürchtete schon, er wäre ohnmächtig geworden. Doch dann tastete er nach ihrer Hand und drückte sie leicht. „Ich habe viel Blut verloren und bin geschwächt.“
„Warum gehst du dann nicht jagen?“
Er seufzte leise, wie ein Mensch, der in den Schlaf hinüberglitt.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter, schüttelte ihn behutsam. „Marcus? Wach auf! Willst du dich denn nicht nähren?“
„Später“, murmelte er.
Sie überlegte fieberhaft. Sie konnte nicht einfach neben ihm sitzen und darauf hoffen, dass er sich von selbst regenerierte. Sie musste irgendetwas tun. Vorsichtig löste sie ihre Hand aus Seiner und lief in das Badezimmer. Dort nahm sie eine Waschschüssel vom Regal, füllte sie mit lauwarmem Wasser, warf einen Waschlappen hinein und kehrte in das Schlafzimmer zurück. Behutsam, damit das Wasser nicht überschwappte, stellte sie die Schüssel auf die Kommode neben dem Bett und begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
„Dreh dich bitte auf den Bauch“, sagte sie.
Marcus gehorchte, drehte sich ächzend um und hinterließ eine besorgniserregende Blutspur auf dem Laken. Sie unterdrückte den Schrecken, den der Anblick seines zerfleischten Rückens bot, löste das zerfetzte Hemd von seinem Oberkörper und ließ es achtlos auf den Boden gleiten. Dann nahm sie den Waschlappen aus der Schüssel, wrang ihn aus und begann, das Blut von seiner Haut zu tupfen. Als sie fertig war, leerte sie die Schüssel in der Badewanne aus und füllte sie erneut. Sie bedeutete Marcus, sich wieder auf den Rücken zu legen und begann, sein Gesicht und den Hals von den Spuren des Kampfes zu befreien. Als sie fertig war, lag er wie versteinert da, die Augen geschlossen. Aus den tiefen Wunden sickerte unablässig Blut. Zärtlich strich sie mit den Fingern über sein Haar.
„Ich liebe dich“, sagte sie leise, doch ihre Worte erreichten ihn nicht.
Hilflos blickte sie auf ihn hinab, während sie nervös an ihrer Unterlippe nagte. Sie hatte keine Ahnung, warum er nicht jagen ging und ob sein Zustand lebensbedrohlich war. Alles, was sie wusste, war, dass er wiederholt sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ihres zu retten, dass er sein bequemes Dasein aufgegeben hatte, nur um bei ihr zu sein. Sie musste ihm helfen, das war sie ihm schuldig, musste ihm Blut beschaffen, egal woher.
Konnte sie es wagen, ihm ihr Blut anzubieten? Würde er es überhaupt bemerken? Er lag da wie tot, weit entfernt von der Realität.
Ihre Blicke
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