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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sich die Kinder zu einer Reihe eines hinter dem anderen auf, und die Lehrerin führte sie in einen Saal mit langen Tischen und Bänken. Ehe die Kinder sich setzten, gingen sie an einem großen Guckfenster vorüber, durch das ihnen zwei Frauen je einen Teller mit Fleisch und Gemüse, einen kleinen Teller mit roter Speise und gelber Soße und ein Glas Milch auf ein Tablett stellten. Wie jedes Kind, so trug auch Wakiya sein Tablett mit Speisen sorglich zu dem nächsten langen Schulkindertisch, wo die kleinen Buben und Mädchen saßen. Alle Kinder hatten zu Hause Gehorsam gelernt und verhielten sich still und ordentlich. Wakiya schaute Susanne Wirbelwind auf die Hände; und als er sich gemerkt hatte, wie sie den Löffel und die Gabel nahm, machte er es ebenso, und die Lehrerin hatte keine Mühe mit ihm wie mit manchen anderen Kindern. Sie nickte ihm freundlich zu. Aber mit der Milch war es sehr schwer. Wakiya wurde es übel, als er die ersten Schlucke getrunken hatte. Susanne Wirbelwind und David Adlergeheimnis tranken den Becher aus, als ob das nichts wäre. Aber Wakiya verschluckte sich und mußte speien und aufwischen, was er ausgespien hatte. Vielen Kindern wurde es übel, und die Becher konnten nicht alle leer getrunken werden. Das Gesicht der Lehrerin wurde traurig und ernst.
    In der Pause stand Wakiya auf dem großen freien Platz vor der Schule und sah zu, wie Susanne Wirbelwind und David Adlergeheimnis miteinander schaukelten. Wakiya sah zum erstenmal in seinem Leben eine Schaukel. Nachmittags war die Schule zu Ende, und Wakiya lief nach Hause. Er lief den weiten Weg zumeist im Trab. Nur heim, nur heim!
    Er wußte selbst nicht, warum er seine Angst vor der Schule im Herzen behielt, aber es war so, und sie wich nicht. Mit Grauen dachte er daran, daß er nun jeden Morgen den Weg zur Schule laufen und ihn jeden Nachmittag zurücklaufen mußte. Es geschah in der Schule nichts Schlimmes; der lange, gerade, dünne Stock half der Lehrerin nur, den Kindern auf der schwarzen Tafel zu zeigen, was weiß darauf geschrieben stand. Die Lehrerin erklärte immer geduldig und langsam, und auch Wakiya wurde oft gelobt. Hin und wieder verstand er jetzt schon schneller als die anderen Kinder, was die Lehrerin meinte, hin und wieder sogar schneller als Susanne Wirbelwind und David Adlergeheimnis. Die Kinder achteten Byron Bighorn als einen guten Schüler in der Beginnerklasse. Die Kinder sollten dort mit der Geistersprache vertraut gemacht werden, ehe der Unterricht in der ersten Klasse begann.
    Es schien alles gut bis auf den weiten Weg, den Wakiya täglich zu laufen hatte, aber wie würde das erst im Winter werden, wenn der Schnee hoch lag? Jetzt schon pfiff der Wind kalt um Wakiyas nackte Beine und durch sein Hemd. Und selbst das Gute war fremd, fern und nur wie ein Geisterschatten zu sehen. Denn Wakiya-knaskiya konnte nie mit der Lehrerin sprechen, die seine Muttersprache nicht gelernt hatte, und er konnte mit keinem der Schulkinder sprechen, denn es war den Kindern streng verboten, ihre Muttersprache untereinander zu gebrauchen. Die wenigen Wörter der Geistersprache, die Wakiya nun schon kannte, nützten ihm noch nicht viel.
    Es war ein Geisterhaus, in das er täglich rannte, um vor den Geistern zu bestehen. Er hatte sie noch kaum zu Gesicht bekommen - denn seine schwarzhäutige Lehrerin rechnete er nicht zu ihnen -, aber alles war geschwängert von ihrer Sprache und ihrer Macht. Es wehte Geisterluft um Wakiya, und auch die milde Stimme der Lehrerin schien ihm mehr und mehr auf kühlen Wellen zu schwimmen.
    Wakiya war in der Schule allein. Auch daheim vergaß er das Sprechen und das Erzählen. Er saß oft an seinem einsamen Platz und schaute nach Himmel und Gras, aber sie rückten von ihm ab, wenn ihm Worte der Geister einfielen, die für alles einen anderen Namen wußten, als Vater und Mutter ihn gelehrt hatten, und die die Wörter anders stellten, das vordere nach hinten, das hintere nach vorn. Sie wollten die Welt verdrehen, und einem kleinen Buben konnte davon schwindlig werden. Vielen Buben und Mädchen erging es nicht anders als Wakiya-knaskiya, den die Lehrerin Byron Bighorn rief. Still, artig, aber im Herzen weitab saßen die Kinder da, ein jedes auf seinem Stuhl. Manche saßen schon das zweite Jahr in der Beginnerklasse. Die meisten waren älter als Wakiya, nicht erst fünf, sondern schon sechs oder sieben Jahre alt.
    Im Winter mußte Wakiya oft fehlen, weil er durch Schnee und Kälte nicht durchkam. Er wußte dann

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