Das Blut des Skorpions
Situation überaus eitel und unnütz erschien, zumal er es in den letzten zwei Wochen schon häufiger hatte über sich ergehen lassen müssen. Seit Monaten bereits drängte er die Königin, sich um die Vorgänge in ihrem Land zu kümmern, doch die eigensinnige Monarchin zeigte nur wenig Neigung dazu. Derweil wurde das Ansehen der Kirche, das bereits durch ihr Fernbleiben von den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden schweren Schaden genommen hatte, jeden Tag mehr von ihren zahllosen Feinden beschädigt. Wenn Christine sich nicht bald zum Einschreiten entschloss, würde der Bruch noch größer werden und einen wichtigen Teil des Kontinents für immer dem Einfluss der heiligen römischen Kirche entziehen. Die Armeen der sogenannten Reformation wurden ständig wehrhafter und stärker, und sogar das erzkatholische Frankreich schien sich nach dem Tod von Kardinal Mazarin der moralischen und weltlichen Autorität des Papstes entziehen zu wollen. Das bezeugte deutlich der Streit um die Investitur von Priestern in den südlichen Provinzen, der sich nun schon viel zu lange hinzog, ohne dass auch nur der Ansatz einer Lösung in Sicht wäre. Paul de Gondi, der Kardinal von Retz, ein guter Freund und Verbündeter, war in die Verbannung geschickt worden und befand sich zur Zeit in Rom; um genau zu sein, saß er gleich zwei Logen weiter. Auch er hatte nach dem fehlgeschlagenen Aufstand der Fronde jeden Einfluss am Hofe Ludwigs verloren. Nur noch ein Trumpf blieb ihnen, aber mit dem war ein Risiko verbunden, das Azzolini einzugehen sich scheute, da die Folgen im Falle eines Scheiterns unabsehbar wären. Diese letzte Möglichkeit beruhte auf einem dunklen Geheimnis, dessen Enthüllung das politische Gleichgewicht in ganz Europa aus den Fugen bringen würde. Das war kein Schritt, den man leichtfertig unternahm, und doch drängten die sich überstürzenden Ereignisse sie offenbar dazu. Die beiden Morde in den vergangenen Tagen waren ein Beweis dafür, dass einige Todfeinde der Kirche hinter das Geheimnis gekommen waren.
Auf der Bühne der Politik braute sich also einiges zusammen, das eine hochexplosive Mischung ergab, während der Kardinal sich das endlose Geplapper der Königin über Duette und Arien, Szenenwechsel und Theatermaschinerie anhören musste.
Der Beginn der Aufführung verzögerte sich.
In einer unverhofften Pause in Christines Redestrom bat Azzolini um die Erlaubnis, sich kurz entfernen zu dürfen, und ging hinaus in den Flur. Sein Schädel brummte, als würde ein ganzer Hornissenschwarm darin nisten.
Kaum hatte er die Loge verlassen, kam ein Adeliger auf ihn zu, mit dem er sich in einen der vielen Alkoven, die die Korridore säumten, zurückzog.
»Ist alles bereit?«, fragte der Kardinal.
»Die Männer sind auf ihren Posten, und wir haben jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme getroffen. Die Ausgänge werden unauffällig, aber streng bewacht. Jetzt können wir nur noch warten, Euer Eminenz. Und auf Gottes Hilfe vertrauen.«
»Sehr gut. Haltet die Augen auf und überwacht jede verdächtige Person.«
»Sehr wohl, Eminenz. Wenn wir allerdings eine Beschreibung des Gesuchten hätten, wäre es einfacher…«
»Das ist leider nicht möglich. Kein Mensch, der sich noch seines Lebens erfreut, hat ihn je gesehen. Aber ich bin sicher, dass er sich bemerkbar machen wird. Haltet aufmerksam Wache und zögert nicht, mich zu stören, wenn es Euch angeraten scheint.«
Der Adelige entfernte sich. An seiner Art zu gehen erkannte man, dass es sich trotz der eleganten Kleidung um einen Berufssoldaten handelte.
Der Kardinal kehrte in die königliche Loge zurück, wo er sofort mit neuen Wortsalven bestürmt wurde, die er mit christlicher Ergebenheit ertrug. Während er höflich über Christines geistreiche Bemerkungen lächelte, schweifte sein unruhiger Blick über die erleuchteten Logen, als wolle er mit bloßem Gespür den genauen Ort ausfindig machen, an dem sich die Bedrohung offenbaren würde. Er beobachtete die adeligen Herrschaften, die sich nun beeilten, die wenigen noch leeren Logen zu besetzen, und ließ seinen Blick auf einem Geistlichen verweilen, der gerade in einer kleinen Seitenloge Platz genommen hatte, nur wenige Dutzend Schritte von ihm entfernt. Seine schlichte, beinahe ärmliche Kleidung bildete einen auffälligen Gegensatz zu dem Prunk, den die meisten Zuschauer, egal ob weltliche oder geistliche, zur Schau stellten.
Der Mann saß neben einem französischen Prälaten, einem Bischof, den Azzolini selbst gut
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