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Das Blut des Skorpions

Das Blut des Skorpions

Titel: Das Blut des Skorpions Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Marcotullio
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Als Erstes sollten wir Männer zum Schutz der drei Jesuiten abstellen und auch Pater Kircher angemessen bewachen lassen. Es ist nicht gesagt, dass der Skorpion genauso denkt wie wir.«
    »Ich werde das sofort veranlassen, Eminenz. Jetzt kann ich mich endlich einer Aufgabe widmen, auf die ich schon nicht mehr gehofft hatte.«
    »Und das heißt?«
    »Das heißt, dass die Jagd auf den Skorpion eröffnet ist!«

KAPITEL XXVI
     
    Der Skorpion stand auf und ging zu einem Fenster, von dem aus man die Piazza überblickte.
    Durch die schmutzigen, gewellten Scheiben beobachtete er das muntere Treiben auf dem kleinen Markt vor der Herberge. Käufer und Händler schwärmten um die Stände herum und gaben sich geschäftig ihrem Tun hin. Geduldig und aufmerksam musterte er Gesicht und Körperhaltung jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes und suchte nach irgendwelchen Auffälligkeiten, nach einem ungewöhnlichen Verhalten.
    Aufmerksamkeit.
    Das war von jeher seine Parole gewesen.
    Aufmerksamkeit für jede Besonderheit, jede Einzelheit, jede Nuance.
    Seinen Beruf konnte man nicht ausüben, wenn man nicht in jedem Moment, bei Tag wie bei Nacht, Aufmerksamkeit walten ließ.
    Und er war der Beste in diesem Beruf, die unbestrittene Nummer eins.
    Seit mehr als vierzig Jahren.
    Wie es ihm häufiger in letzter Zeit passierte, wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit zu dem Tag, als er mit siebzehn Jahren zum ersten Mal dem Tod begegnet war und in ihm seinen Meister gefunden hatte.
    Es war ein Tag wie jeder andere auf dem Landgut seiner Eltern gewesen.
    Sie waren wohlhabend. Das Gut war groß, solide und zweckmäßig gebaut, mit Kornspeichern, Kuhställen und Schweinepferchen. Dazu Gänse, Hühner, Enten und Kaninchen. Und Land, fetter, fruchtbarer, gut bewässerter Boden.
    Das Haus war voller Mägde und Knechte, die die groben Arbeiten verrichteten. Seine Mutter wachte über alles, prüfte jede Kleinigkeit, denn, wie sie jeden Tag wiederholte, wenn man sich nicht selbst um alles kümmert, kann auch das Paradies zugrunde gehen.
    Sein Vater war bei der Gerste in den Speichern gewesen. In einigen Tagen wäre es Zeit, das erste Herbstbier zu brauen, das stärkste, dunkelste und aromatischste, das er noch nicht trinken durfte.
    Da seine Hilfe nicht gebraucht wurde und er noch nicht einmal das Ergebnis dieser vielen Arbeit würde kosten dürfen, hatte er sich auf einen grasbewachsenen kleinen Hügel verzogen und beobachtete von dort die Arbeiter, die die Trockenplätze für das Getreide vorbereiteten.
    Seine große Schwester hatte Anfang Mai geheiratet und lebte nun über dreißig Meilen weit weg im Haus ihres Ehemannes. Grete fehlte ihm; sie war eine gute Schwester, sanftmütig und fröhlich, und hatte immer ein Lächeln, eine Liebkosung oder eine Leckerei für ihn gehabt. Mit Grete hatte er sich wohlgefühlt, doch jetzt war sie für immer fort.
    Seine beiden jüngeren Brüder spielten im Haus. Sie waren noch Kinder, zwei greinende Nervensägen, die er nicht mehr ertragen konnte, seit er fast ein Mann war.
    Kleine Wolkenfetzen trieben am Horizont über den Himmel, und er hatte sich in die Betrachtung dieser weißen, veränderlichen Gebilde verloren.
    Sie waren ganz plötzlich aus dem Wald herbeigesprengt gekommen.
    Im Nu hatten sie das Haus umzingelt und schlugen mit ihren Schwertern und Piken zu.
    Der Erste, der fiel, war sein Vater. Der Mann, der ihn durchbohrte, lachte dabei, und als sein Vater zu Boden stürzte, wütete er gegen ihn, bis er sich nicht mehr bewegte.
    Nachdem der Gutsherr tot war, ging das Massaker richtig los. Die Angreifer verteilten sich auf dem ganzen Anwesen und gaben sich maßlos jeder Freveltat hin.
    Männer, Frauen und Kinder wurden von diesen blutrünstigen Teufeln abgeschlachtet.
    Er hatte gesehen, wie einige von ihnen ins Haus liefen. Er hatte die Schreie gehört. Er hatte den Rauch aus den offenen Fenstern quellen sehen.
    Kurz darauf kamen die Männer wieder heraus. Sie lachten, grölten, tranken. In den Armen trugen sie die zusammengeraffte Beute.
    Innerhalb weniger Minuten stand das ganze Haus in Flammen.
    Er war nicht mehr als hundertfünfzig Schritte von dem Geschehen entfernt, aber er fand nicht die Kraft, sich zu bewegen. Vor Angst und Entsetzen gelähmt konnte er keinen Muskel regen.
    Starr verfolgte er das Gemetzel. Niemand bemerkte ihn, niemand kam in seine Richtung, als wäre seine Gestalt, die flach auf der kleinen Erhebung lag, von einem dichten Nebel umhüllt und den Augen der Mörder

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