Das Blut des Skorpions
Schweden im Palazzo Riario zu besuchen. Die Königin war dabei, ein großes Frühlingsfest vorzubereiten, zu dem die ganze vornehme Gesellschaft Roms eingeladen werden würde.
Sie hatte ihn damit beauftragt, ein Spektakel aus Licht- und Klangeffekten vorzubereiten, das die illustren Gäste verblüffen und entzücken sollte, und er hatte sich angesichts der hartnäckigen Entschlossenheit der Königin diesem Auftrag nicht entziehen können.
Doch was für eine Nichtigkeit! Was für eine unerträgliche Eitelkeit, diese frivolen, vergänglichen Vergnügungen, vor allem jetzt, da die Welt am Rand des Abgrunds tanzte.
Der Jesuit hätte am liebsten das Fenster aufgerissen und ganz Rom, der ganzen Christenheit, der ganzen Menschheit zugerufen, was vermutlich nur er allein wusste.
Er wünschte, seine schwache Stimme würde sich in ein Brüllen verwandeln und jeden Mann, jede Frau, jedes Kind warnen, sich auf die große Prüfung vorzubereiten, auf das furchtbare Getöse der Trompeten von Armageddon, die die Menschheit zum Jüngsten Gericht riefen.
Vanitas vanitatum!
Kircher stellte sich ans Fenster und betrachtete die in den Straßen wimmelnden, nichts ahnenden Bewohner der Stadt. Von hier oben aus gesehen wirkten sie wie Ameisen, die auf ein vernichtendes Feuer zuliefen.
Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und überprüfte mit brennenden Augen zum zigsten Mal seine Berechnungen, in der schwachen Hoffnung, irgendeinen Faktor übersehen zu haben, doch all seine Ergebnisse stimmten überein. Er schloss die Augen und rieb sich die müden Lider.
Er fror und war müde, viel zu müde.
Gern hätte er sich wieder ins Bett gelegt, um im Schlaf die schreckliche Wahrheit zu vergessen, die in ihrer unabwendbaren, schonungslosen Deutlichkeit vor ihm stand.
Doch er wusste, dass er das nicht konnte.
Gleich würde Fernando mit einer Schüssel voll warmem Wasser für die Morgentoilette hereinkommen. Sein Diener würde ihm den Bart und die Haare stutzen, damit er ordentlich vor der Königin erschien, und ihm beim Ankleiden helfen.
Die königliche Kutsche würde im Hof des Collegium Romanum halten, und er würde einsteigen und sich ans andere Flussufer fahren lassen.
Natürlich würde er sich nichts anmerken lassen, er würde sich zuvorkommend benehmen, der Königin jede gewünschte Erklärung geben und sich in Einzelheiten über die wissenschaftlichen Grundlagen seiner optischen und akustischen Apparaturen ergehen.
Er würde sich wie immer verhalten und nichts von seiner Unruhe und Besorgnis erkennen lassen, denn es hätte keinen Sinn, Alarm zu schlagen, es hätte keinen Sinn, in alle vier Windrichtungen zu schreien, dass die Zeit gekommen war.
Die Ohren der Menschen waren nicht dafür geschaffen, die donnernde Stimme Gottes des Allmächtigen zu hören. Ihre Sinne, obwohl sie von seiner liebenden Hand geschaffen worden waren, waren nicht fähig, den kristallklaren Klang der Engelstrompeten zu empfangen, genauso wenig wie ihre Seelen bereit waren, die Wahrheit in sich aufzunehmen.
Alles würde seinen gewohnten Gang gehen; jeder würde sich einzig um seine alltäglichen Verrichtungen kümmern, in der Überzeugung, noch genug Zeit zu haben, um seine Pläne zu verwirklichen und seine Wünsche zu befriedigen.
Aber die Zeit war abgelaufen!
Nur ein Dutzend Auserwählte, die über die weite Welt verstreut waren, hatten das Warnsignal, hatten den Ruf vernommen.
Und er gehörte dazu.
KAPITEL XXIX
Bernardo Muti hob den Blick von dem mit großer Sorgfalt verfassten Papier und legte es auf einen Stapel von anderen Schriftstücken auf dem schmucklosen Holztisch, der ihm als Schreibtisch diente. Vor ihm lag ein ordentlicher Haufen von Berichten seiner zuverlässigsten Mitarbeiter.
Keiner dieser Berichte enthielt zusammenhängende Informationen; es handelte sich vorwiegend um bruchstückhafte, hier und dort gemachte Beobachtungen ohne Beziehung zueinander, aus denen er dennoch seine Schlüsse ziehen konnte, nachdem er sie nun alle durchgegangen war.
Azzolini hatte einen Großeinsatz befohlen.
Er schien auf der Jagd nach jemandem zu sein.
Dieser Schritt des Kardinals machte ihn neugierig und beunruhigte ihn zugleich. Azzolini zog es normalerweise vor, hinter den Kulissen zu handeln, ohne direkt einzugreifen. So war es auch bei der Wahl Alexanders VII. gewesen, des Papstes aus der Familie Chigi, der vor elf Jahren den Heiligen Stuhl bestiegen hatte.
Die »Fliegende Schwadron«, so nannte man die Gruppe der Getreuen um den
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