Das Blut des Teufels
Während die Tür langsam aufschwang, hob der rundliche Mann die Arme wie zum Gebet.
Sobald sie sich vollständig geöffnet hatte, bekreuzigte sich der Abt feierlich und schritt voran. Er sprach kein einziges Wort und Henry spürte, dass eine einzige Äußerung den Augenblick entheiligen würde. Daher hielt er die Lippen fest verschlossen, aber seine Augen weiteten sich erwartungsvoll.
Als Abt Ruiz behutsam durch den Eingang trat, schalteten Sensoren innerhalb der Gewölbekammer eine Flut von Neonlampen ein. Im Raum wurde es strahlend hell. Es war wie ein unterirdischer Sonnenaufgang.
Joan schnappte nach Luft. Von der Stelle aus, an der sie stand, hatte sie einen direkten Blick auf das, was vor ihnen lag. Henry dagegen musste erst um den Abt herumgehen, bevor er sah, welches Geheimnis die Kammer barg. Als er die Türschwelle überschritt, ließ er unwillkürlich Joans Hand los. Wie betäubt stolperte er in den Raum.
Die kühle Kammer war etwa zwanzig Quadratmeter groß. In jeder Ecke stand ein kleines Gefäß, aus dem dünne Weihrauchfahnen aufstiegen. Sämtliche Wände waren aus Titan und mit ungeheuerlichen silbernen Kreuzen bestückt, ein jedes mannshoch. Ein noch größeres Kruzifix hing von der drei Stockwerke hohen Decke herab.
Doch so verblüffend allein das war, es war nichts im Vergleich zu dem, was es unter dem hängenden Kreuz zu sehen gab. Inmitten des Raums lag auf einem verzierten Silberaltar die lebensgroße Skulptur eines Mannes. Henry trat näher. Es sah aus, als würde die Gestalt schlafen. Sie trug wallende Gewänder und ruhte auf ihrem langen Haarschopf wie auf einem Kopfkissen. Die Hände waren wie bei einem Toten auf dem Bauch gefaltet. Das Antlitz wirkte völlig entspannt, etwas unergründlich Friedvolles ging von dieser Gestalt aus. Henry trat zur Seite, um einen besseren Blick auf das Gesicht zu erhalten.
Um die Stirn der Gestalt lag eine Dornenkrone.
O mein Gott!
Es war die Gestalt Christi! – geformt aus massivem Gold!
Nein, nicht Gold … Henry musste nicht näher treten, damit er seinen Irrtum erkannte. Das Licht der Neonlampen blitzte auf der Gestalt des schlafenden Christus. Das Metall darunter schien beinahe zu fließen. Nein, das war kein Gold! Es war el Sangre del Diablo. Die ganze lebensgroße Skulptur war aus dem Blut des Satans gebildet worden.
Henry bekam weiche Knie. Die Kälte des Raums drang ihm allmählich bis auf die Knochen. Kein Wunder, dass die Kammer kühl gehalten wurde. Bei Raumtemperatur würden wahrscheinlich wie bei dem Kreuz in Joans Labor an der Johns Hopkins die feineren Details verloren gehen.
Abt Ruiz ging zu einem einfachen hölzernen Betschemel hinüber, der vor dem Altar stand, und kniete auf der harten Oberfläche nieder. Schweigend bewegte er die Lippen im Gebet. Dann erhob er sich wieder, zog den Reißverschluss seiner sterilen Laborkleidung auf und holte das Becherglas mit der goldenen Probe aus Joans Labor heraus. Die Substanz hatte die grobe Pyramidenform beibehalten. Abt Ruiz küsste seine Fingerspitzen und öffnete dann das Becherglas, um dessen Inhalt herauszuholen. Sanft lösten die großen Hände des Mannes das Metall von der Oberfläche und hoben es hoch. Er beugte sich vor und setzte die Pyramide ehrfürchtig auf die Skulptur, in die Nähe der gefaltenen Hände der Christusgestalt.
»Kommen Sie«, sagte der Abt feierlich und kehrte zu seinem Betschemel zurück. »Es war Ihre Entdeckung, Ihr Geschenk, Professor Conklin. Sie sollen daran teilhaben.«
Erneut kniete Ruiz nieder und senkte den Kopf. Henry ging zu ihm hinüber, Joan ihm zur Seite. Carlos stand nach wie vor mit versteinerter Miene an der Tür, die Waffe in der Hand.
Abt Ruiz murmelte ein Gebet. Das Gesicht hielt er bescheiden mit den Händen bedeckt.
Henry musterte die Gestalt, den Raum. Er wusste nicht, was er zu erwarten hatte. Was dann geschah, machte ihn vollkommen fassungslos; er blinzelte mehrmals, um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine optische Täuschung handelte.
Die Pyramide aus der Substanz Z schmolz und floss über die Skulptur. Die gefalteten Hände teilten sich gerade so weit, dass das geschmolzene Metall darunter strömen konnte. Als sich die goldenen Finger wieder schlossen, hatte die Substanz Z eine vollkommene Lilie ausgebildet, mit duftender Blüte und schlankem Stängel.
Der Abt seufzte und nahm die Hände herunter und auf seinem Gesicht lag ein glückseliges Lächeln. Er stand auf.
»Was ist gerade geschehen?«, murmelte Joan.
»Ihre Probe ist der unseren
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