Das Blut des Teufels
sechs Männern, die als Zugochsen dienten, ließ sich der Schlitten leichter ziehen, als Sam erwartet hätte. Dennoch reichte ihm einer der Männer ein paar Blätter einer Kokapflanze. Als er sie kaute, linderte das Kokain darin die Auswirkungen der großen Höhe … und seinen Kater. Seine Kopfschmerzen ließen beträchtlich nach. Er fragte sich, ob die Blätter vielleicht auch gegen Normans Fieber und die Schmerzen helfen würden.
Da er sich jetzt wieder besser fühlte, unterhielt er sich mit dem Schamanen, während sie weiter den Schlitten zogen. Denal übersetzte.
Sams Frage nach den Kindern erntete die gleiche Bestürzung. »Der Tempel bekommt unsere Kinder aus den Bäuchen unserer Frauen. So nahe am janan pacha « – erneut ein Nicken zu dem hoch aufragenden Vulkankegel im Süden hinüber – »hat der Gott Con unser Volk gesegnet. Unsere Kinder sind jetzt seine Kinder. Sie leben im janan pacha . Geschenke für Con.«
Maggie hatte zugehört und drehte sich zu ihnen um. Sam zuckte mit den Achseln. Con war einer der Götter der nördlichen Stämme. Den Geschichten nach hatte er heldenhafte Schlachten mit Pachacamac, dem Schöpfer der Welt, ausgetragen. Aber es hieß, der Gott Con sei es gewesen, der den Menschen auf dieser Erde erschaffen habe.
»Dieser Tempel«, fragte Sam um seinen Klumpen aus bittersüßen Blättern herum, »können wir uns den vielleicht mal ansehen?«
Die Augen des Schamanen wurden schmal und er schüttelte heftig den Kopf. »Es ist verboten.«
Da ihn der Mann so heftig zurückwies, verfolgte Sam die Angelegenheit nicht weiter. So viel dazu, dass wir Botschafter des Donnergottes sind, dachte er. Anscheinend war Illapa auf dem Totempfahl dieses Dorfs nicht sonderlich hoch angesiedelt.
Maggie glitt an seine Seite zurück und flüsterte: »Ich habe über Denals Beobachtung nachgedacht, dass es keine Kinder gibt. Und darüber, wie das Dorf angelegt ist. In dieser Gemeinschaft fehlt noch etwas.«
»Und das wäre?«
»Alte. Alte Leute. Alle, die wir gesehen haben, sind etwa im gleichen Alter … so um die zwanzig.«
Als ihm aufging, dass Maggie Recht hatte, geriet Sam ins Stolpern. Selbst der Schamane schien nicht wesentlich älter als er zu sein. »Vielleicht haben sie nur eine geringe Lebenserwartung.«
Maggie sah finster drein. »Sie führen hier ein ziemlich geschütztes Leben. Keine größeren Raubtiere, es sei denn, du rechnest diese Dinger da unten in den Höhlen dazu.«
Sam wandte sich an Kamapak und befragte ihn mit Denals Hilfe nach den fehlenden Alten.
Die Antwort war ebenso rätselhaft. »Der Tempel nährt uns. Die Götter beschützen uns.« Der Schamane sprach in einem Singsang, aus dem man schließen konnte, dass seine Antwort eine uralte Erwiderung war, die er offenbar auf die meisten Fragen gab. Als Maggie selbst Fragen stellte – über Gesundheitsfürsorge und Krankheiten unter den Dorfbewohnern –, erhielt sie dieselbe Antwort.
Sie wandte sich an Sam. »Anscheinend enden alle Kinder, alle Alten und alle Kranken dort oben.«
»Meinst du, sie werden geopfert?«
Maggie zuckte mit den Schultern.
Sam sann über ihre Worte nach, wandte sich dann an Denal und versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Versuch doch mal, ihm diese Kreaturen zu beschreiben, die wir in den Höhlen gesehen haben.«
Der Junge runzelte die Stirn, da er seine Rolle als Übersetzer allmählich leid war, tat aber trotzdem, worum ihn Sam gebeten hatte. Der Blick des Schamanen verdüsterte sich bei der Erzählung. Er befahl, den Schlitten anzuhalten. Seine Worte waren leise und trugen eine leise Bedrohung mit sich, während Denal übersetzte. »Sprich niemals von jenen, die durch das uca pacha wandeln, die Unterwelt. Es sind mallaqui , Geister, und es ist nicht gut, von ihnen zu flüstern.« Mit diesen Worten winkte der Schamane den Schlitten weiter.
Sam sah zu den Vulkanen im Süden hinüber. »Der Himmel dort oben und die Hölle unter uns. Alle spirituellen Sphären der Inka sind in diesem einen Tal vereint. Ein pacariscas , ein magischer Knoten.«
»Was hat das deiner Ansicht nach zu bedeuten?«, fragte Maggie.
»Ich weiß es nicht. Aber ich werde froh sein, wenn Onkel Hank eintrifft.«
Bald erreichten die Schlepper und ihre Holzladung den Rand des Dorfs. Inzwischen war die Mittagszeit weit überschritten und die Arbeiter warfen ihre Harnische ab und schlenderten ins Dorf. Erneut waren die Hütten voller plappernder, glücklicher Menschen. Offenbar waren sogar die Feldarbeiter für eine
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