Das Blut des Teufels
die andere Seite zu schieben.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sich in den Hof fallen ließ. Ein blaugoldener Ara beobachtete sie mit gesträubtem Gefieder, noch immer angespannt von dem Tumult vor wenigen Augenblicken. Maggie wollte den Vogel mit ihrem Willen dazu bringen, ruhig zu bleiben, und kroch unter das überhängende Laubwerk. Das Gewehr lag etwa zehn Meter entfernt. Sie müsste bloß über den Hof sprinten, es sich schnappen und dann wieder über die Mauer verschwinden.
Eigentlich ganz einfach, doch da setzte ein Zittern in Maggies Beinen ein. Wenn sie nicht sofort handelte, würde die Panik sie überwältigen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und rannte aus dem Schatten der Bäume über das Pflaster. Als sie gerade die Hände auf den Lauf der Waffe legte, ertönten hinter ihr Stimmen. Da kehrte jemand zurück! Sie erstarrte wie ein Reh im Autoscheinwerferlicht, völlig gelähmt vor Angst. Sie konnte sich nicht rühren, konnte nicht nachdenken.
Plötzlich knackte ein Scheit im Feuer, ein Geräusch wie ein Startschuss.
Das hatte sie gebraucht. Ein angsterfülltes Keuchen entrang ihrer Kehle, aber sie schnappte sich das Gewehr und rannte los und es war ihr gleichgültig, ob jemand sie hörte. Die Angst verlieh ihr Flügel. In Sekundenschnelle flog sie förmlich durch die Bäume und setzte über die Mauer.
Dankbar sank sie in die Schatten, das Gewehr fest an die Brust gedrückt.
Die Stimmen hinter ihr wurden lauter. So leise atmend wie möglich wandte sie sich um und spähte in den Hof. Es waren Kamapak und Pachacutec, die zurückkehrten. Der tätowierte Schamane überquerte den Hof und warf eine Hand voll Pulver in das Feuer. Himmelblaue Flammen tanzten bis zu den Dächern hinauf und fielen dann wieder in sich zusammen.
Die beiden Männer unterhielten sich in ihrer Muttersprache. Das einzige für sie verständliche Wort war der Name Inkarri . Dem König widerstrebte anscheinend die Absicht des Schamanen, aber dann ließ er die Schultern hängen und nickte.
Pachacutec richtete sich auf und trat zum Feuer, wo er an seine Schulter griff und die goldene tupu -Nadel herauszog, die sein Gewand zusammenhielt. Fließend wie Wasser fiel ihm das feine Tuch den Körper hinab und bildete eine Lache ihm zu Füßen. Der Sapa Inka trat aus seinem Gewand. Er war jetzt nackt, von seinem llautu -Kopfschmuck und dem Stab einmal abgesehen.
Eine Hand flog zu Maggies Lippen hinauf und dämpfte ihren überraschten Aufschrei. Aber es musste etwas zu hören gewesen sein. Der König schaute für einen langen Atemzug zur Hofmauer hinüber und wandte sich dann wieder ab.
Maggie verspürte ein heftiges Brennen in der Magengegend, doch sie rührte sich lieber nicht vom Fleck. Wenn sie an den Steinen entlangstreifte, würde das entstehende Rascheln womöglich die beiden im Hof auf ihre Anwesenheit aufmerksam machte. Sie starrte hinüber.
Vom Hals an aufwärts zeigte die Haut des Königs das vertraute Mokkabraun der Anden-Indianer, weiter abwärts jedoch war sie so bleich wie etwas, das lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Die Färbung erinnerte Maggie an die bestienhaften Fleischfresser, von denen sie unten in den Höhlen gejagt worden waren. Aber Pachacutecs Haut war sogar noch bleicher, fast durchscheinend. Man konnte sogar die Adern darunter erkennen, die schwärzliches Blut transportierten; die Knochen wirkten wie vergrabene Schatten. Brust und Bauch des Mannes waren flach und haarlos. Nicht einmal Brustwarzen oder ein Nabel störten die glatte Oberfläche. Darüber hinaus war er geschlechtslos. Jedenfalls fehlten ihm äußere Geschlechtsorgane.
Geschlechtslos und unnatürlich glatt. Maggie kam nur ein Wort in den Sinn, als sie diese seltsame Erscheinung anstarrte: unfertig. Es war, als wäre der Körper des Königs eine unbehauene Steinplatte, die darauf wartete, zu etwas geformt zu werden, wie bleicher Ton.
O mein Gott. Langsam dämmerte ihr die Erkenntnis.
Die Geschichte von Inkarri entsprach der Wahrheit!
DRITTER TAG
Die Schlangen von Eden
Samstag, 25. August, 4.48 Uhr In den Anden, Peru
Henry starrte aus dem Fenster, als sich der Helikopter über den vom Dschungel befreiten Ruinen in die Kurve legte. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Sorgen und Ängste hatten ihn wach gehalten, während ihr Vogel den mitternächtlichen Regenwald überflogen hatte. Noch war ihm kein Plan eingefallen, wie er seine Kidnapper austricksen könnte. Und ohne den zusätzlichen Zwischenstopp zum Auftanken war ihr Flug vom
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