Das Blut Von Brooklyn
unseres Lebens völlig vorhersehbar.
Er sieht mich an.
– Aber weißt du was? Diese Unfälle sind nicht ein einziges Mal tagsüber geschehen.
Er blickt wieder zur Decke auf.
– Ich weiß nicht, ob das etwas zu bedeuten hat. Doch ich bin ein bisschen enttäuscht.
Er beugt sich vor, legt eine Hand vor den Mund und fängt an zu flüstern.
– Im Lauf der Zeit gab es nicht wenige Mitglieder der Enklave, bei denen ich meine Eckzähne gegeben hätte, sie im Sonnenlicht brennen zu sehen.
Dann richtet er sich wieder auf und beobachtet das geschäftige Treiben der weißgekleideten Gestalten.
– Die meisten hier sind selbstgefällige Pedanten, unerfahren und ohne Sinn für Verhältnismäßigkeit. Das ist eben eine der Gefahren unseres Einsiedlerdaseins. Natürlich haben sie ein tiefes Verständnis für das Universum, aber versuch mal, mit ihnen eine Unterhaltung über Kunst, Musik oder ein schönes Paar Frauenbeine anzufangen. Da haben sie absolut nichts dazu zu sagen. Du schon. Du bist rumgekommen, hast die eine oder andere Erfahrung gemacht.
Eine Sehne in seinem Genick fängt an zu zucken. Er legt eine Hand darüber.
– Erinnerst du dich? Erinnerst du dich an den Geist, Simon?
Ich wende den Blick ab.
– Da war ich nicht ganz bei mir, Mann. Ich weiß nicht, an was ich mich erinnere.
– Lüg mich nicht an. Das ist unter deiner Würde.
Das bringt mich fast zum Lachen.
Er lacht.
– Also gut, du hast Recht. Eine Lüge ist wohl kaum unter deiner Würde. Es gibt ziemlich wenig, was unter deiner Würde ist. Ich geb’s auf. Aber der Geist. Darüber solltest du nachdenken. Er ist von irgendwoher gekommen.
– Wenn du meinst.
– Ja, das meine ich. Er ist von irgendwoher gekommen. Das weiß ich. Wir haben ihn hergeholt. Von irgendwoher. Trotzdem weiß ich nicht, was er wirklich ist, Simon. Aber ich habe eine Theorie.
Ich stütze mich auf mein gesundes Bein und richte mich auf.
– Daniel.
– Ja? Was?
– Du verhältst dich ziemlich eigenartig. Also, selbst nach deinen Maßstäben. Alles okay?
Er breitet die Arme weit aus und lässt sie dann fallen.
– Simon, wenn ich nur die Zeit hätte, eine solche Frage zu beantworten.
– Kannst du mal wieder runterkommen, damit wir nach meiner Freundin sehen können?
Ein Mitglied der Enklave tritt näher und stellt sich neben ihn.
Daniel blickt zu ihm auf und hebt einen Finger. Der Typ bleibt, wo er ist. Daniel berührt ihn leicht mit dem Finger. Der Typ tritt einen Schritt zurück, geht jedoch nicht weg.
Daniel nickt und sieht mich an.
– Entschuldigung. Wie war die Frage?
– Evie. Meine Freundin, Daniel. Ich muss es wissen.
Er hebt die Hand.
– Stimmt, ja. Das Mädchen. Du willst wissen, wer sie ist.
– Nein, Mann. Ich weiß, wer sie ist. Ich will wissen, ob sie...
Er legt eine Hand auf meine Brust. Sie ist glühend heiß.
– Simon, du willst wissen, wer sie ist. Nicht ihren Namen oder ihren Geburtsort, oder was ihre Eltern machen, oder wo sie zur Schule gegangen ist, oder ob sie jemals eine Zahnspange getragen hat. Du willst wissen, wer sie ist. Was sie ist.
Er nimmt mein Kinn in seine Hand. Die Hitze, die seine Haut verströmt, ist unerträglich.
– Du willst wissen, ob sie so ist wie du.
Der Typ hinter ihm scharrt mit den Füßen.
Daniel legt eine Hand auf meine Wange.
– Was wirst du tun, Simon? Was zum Teufel wirst du tun?
Ich schlucke etwas Spucke hinunter. Die Muskeln in meinem Hals ziehen sich zusammen und zerren an der Wunde.
– Ich... Ich werde sie retten, Daniel. Sie stirbt, und ich muss sie...
Er lässt die Hand sinken.
– Das habe ich nicht gemeint.
Der Typ kommt wieder näher, und Daniel nickt. Dann zupft er an meinem Ärmel.
– Komm, ich helfe dir hoch.
Er stellt sich neben mich, ich stütze eine Hand auf seine Schulter, und wir gehen los.
– Danke, dass du gekommen bist und mir von deinen Erlebnissen erzählt hast, Simon. Deine Geschichten erinnern mich immer daran, wie jämmerlich banal die meisten Probleme der Welt sind. Und was die Leute für lächerliche Anstrengungen unternehmen, damit sie glauben, dass diese Probleme wirklich von Belang sind.
– Klar. Ist mir ein Vergnügen.
Weitere Enklavemitglieder nähern sich, versammeln sich um uns und folgen uns.
Vor uns ist das Tor.
Wir bleiben stehen.
Ich nehme die Hand von Daniels Schulter.
– Ich werde nicht gehen, Daniel. Ich gehe nirgendwohin, bevor du dir Evie nicht angesehen und es mir gesagt hast.
Er geht auf die Tür zu, legt eine Hand darauf und
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