Das Blut von Magenza
Reinhedis inzwischen gleichgültig. Sie war längst von Gerhards Untreue überzeugt. Egal wie sie es drehte und wendete, es passte einfach alles zusammen: Griseldis‘ heimliche, nächtliche Besuche, seine andauernden Bemühungen um die junge Frau, seine Verschlossenheit ihr gegenüber und die vielen Ausreden, die er ihr auftischte, wenn sie ihn nach dem Grund seines Zuspätkommens fragte.
Obwohl die Tatsachen eigentlich unbestreitbar waren, wollte ihr Herz seinen Verrat immer noch nicht glauben. Gestern Abend hatte er sich nach ihrer Ohnmacht überaus liebevoll um sie gekümmert und seine Besorgnis wirkte dabei echt. Er hatte bis tief in die Nacht ihre Hand gehalten und sie selbst im Schlaf nicht losgelassen. Verhielt sich so ein Mann, der eine andere liebte?
Reinhedis wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Die Mauer des Schweigens zwischen ihnen war unüberwindbar geworden und sie fand einfach keinen Weg, um mit Gerhard über ihre Gefühle zu reden. Stattdessen legte sie jedes seiner Worte auf die Goldwaage, reagierte meist verstimmt auf seine Vorschläge und beobachtete ihn mit Argusaugen. Einerseits wollte sie endlich Gewissheit, denn sie war sich bewusst, dass ihre Ehe in einer solch vergiftetenAtmosphäre scheitern musste. Wo Vertrauen und Liebe fehlten, regierten Argwohn und letztendlich womöglich Hass.
So weiterleben konnte sie nicht, scheute sich aber auch davor, ihn mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. Eine Scheidung kam erst recht nicht in Betracht. Durch sie würde sie alles verlieren, ihr Heim, die Kinder, das schöne Leben in der Stadt. Sie könnte vielleicht in ein Kloster oder ein Stift eintreten, doch sie wollte nicht den Rest ihrer Tage dort verbringen. Vielleicht sollte sie sich doch auf den Landsitz zurückziehen, wie er es vorgeschlagen hatte, dann blieben ihr wenigstens ihre Töchter. Aber das käme einer Kapitulation gleich und sie war nicht bereit aufzugeben.
Zu lange hatte sie alles einfach nur hingenommen und Entscheidungen vor sich hergeschoben und war so immer mehr zu einem Schatten ihrer selbst geworden. Sie musste endlich die Energie aufbringen und sich gegen dieses Weib wehren.
Unter den Juden
„Mutter, ich bring Chametz aus dem Haus. Vielleicht will Widukind mir etwas davon abkaufen“, rief Sara.
„Dann spute dich, nicht dass er schon auf dem Weg in die Dombauhütte ist und du vergebens an seine Tür klopfst. Ich werde mich inzwischen um das Pessachgeschirr kümmern und die Küche reinigen.“
„Mute dir aber nicht zu viel zu“, ermahnte sie ihre Mutter.
„Keine Sorge, Anna passt schon auf mich auf“, sagte Rachel und lächelte der Magd zu, die bei ihnen geblieben war, weil sie sich als große Hilfe erwies.
Sara ergriff den Korb mit dem gesäuerten Brot und ging schwerfällig über den Hof zu Widukind hinüber. Er öffneteihr beinah sofort und sie hielt ihm den Korb mit dem Brot hin. „Willst du Chametz?“
„Komm herein, ich kauf dir etwas ab.“
„Ich schenk es dir. Ehrlich gesagt, dient es mir nur als Vorwand, damit ich zu dir kommen kann, ohne dass Mutter sich unnötig Gedanken macht.“
„Wolltest du mich an mein Versprechen erinnern?“
Sara lief rot an und schüttelte beschämt den Kopf. „Nein, ich zweifle nicht an deinem Wort. Es ist nur so, dass die Kreuzfahrer inzwischen vor Trier und Köln sind und beide Städte liegen nicht weit von hier.“
„Davon habe ich gehört. Ist dir auch aufgefallen, dass jeder Turm rund um die Uhr mit einer Wache besetzt ist? Außerdem werden zusätzliche Vorräte in die Stadt geschafft.“
„Nein, das habe ich nicht bemerkt. Dann trifft der Erzbischof anscheinend Vorkehrungen zum Schutz der Bürger. Er tut wenigstens etwas, im Gegensatz zu unseren Ältesten“, bemerkte Sara traurig. „Sie sind noch immer der Überzeugung, dass ihnen nichts geschieht und vertrauen deshalb ganz auf den Allmächtigen.“
„Gottvertrauen ist immer hilfreich, aber in manchen Situationen reicht es eben nicht aus“, meinte Widukind.
Sara krümmte sich auf einmal und ließ den Korb mit dem Brot auf den Tisch fallen. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und griff sich an ihren Bauch. „Das war aber ein heftiger Tritt!“
Widukind drückte sie sanft auf die Bank. „Bleib sitzen, ich hole dir frisches Wasser. Gleich geht es dir bestimmt besser.“
Er schenkte ihr etwas ein und setzte sich zu ihr. „Sara, ich habe lange gegrübelt, wie ich euch beschützen kann. Mir ist klar geworden, dass ich es allein nicht schaffe.
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