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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Platz
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zugeschnürt. Ich kann kaum schlucken und habe keinen Hunger.“
    Als Ariel später vor den Ältesten stand und in ihre besorgten Mienen schaute, verstärkte sich die Leere in seinem Innern. Zwar waren seine Tränen versiegt, aber der Schmerz brannte noch immer.
    Um Worte ringend, begann er schließlich: „Die Stadt wurde eine Woche belagert. Der Bischof wie auch die Bürger versprachen, uns zu schützen und wir vertrauten ihnen. Wir bezahlten auch für unseren Schutz, aber es war wohl nicht genug. Unsere Gemeinde teilte sich, eine Hälfte kam im Anwesen des Bischofs unter, die andere blieb in ihren Häusern zurück, denn wir glaubten den Versprechungen. Doch kaum drangen die Kreuzfahrer in die Stadt ein, knickten ihre Bewohner um wie Rohre im Wind. Die Menschen, mit denen wir bis dahin in Eintracht Tür an Tür lebten, wandten sich gegen uns. Gemeinsam mit den Pilgern, die sich das verwerfliche Zeichen des Kreuzes an ihre Kleidung geheftet hatten, fielen sie wie die Wölfe über uns her, um uns zu verschlingen. Dabei machten sie weder vor Frauen und Männern noch vor Greisen oder Kindern halt. In ihrer Raserei rissen sie unsere Häuser nieder und plünderten alles, was ihnen in die Finger kam. Sie ergriffen die Torahrolle, traten sie in den Straßenkot, verhöhnten und verbrannten sie und fraßen so Israel auf.“
    Ariel hatte bewusst dramatisiert, um den Schrecken möglichst eindringlich zu schildern. Er schöpfte kurz Atem und fuhr dann fort: „In dieser Stunde der Not mussten wir erkennen, dass unser Herr sich aufgrund unserer Verfehlungen von uns abgewendet hatte. Ohne seinen Beistand gab es keine Rettung! Wir verzweifelten, dennoch beugten wir uns nicht dem Willen der Eiferer, die die Taufe von uns verlangten. Manche boten freiwillig ihren Hals dar, andere töteten sich selbst, um nicht durch die Hand der Irrenden zu fallen. Genau wie jene Frau namens Minna in Schpira schlachteten sie sich selbst. So übergaben sie ihre Seelen ihrem Schöpfer. Viele starben mit den Worten auf ihren Lippen: „Höre Israel, Adonai ist unser Herr, Adonai ist einzig.“
    Ariel stockte erneut, seine Gefühle drohten ihn doch zu übermannen. Einer nutzte die Pause. „Kiddush haSchem!“, raunte er und spielte damit auf die Selbsttötungen an.
    Ariel hatte es gehört und stimmte ihm zu. „Zu Hunderten ehrten sie so seinen Namen. Mütter töteten ihre Kinder, Männer ihre Frauen, Verlobte sich gegenseitig, Herren ihr Gesinde. Nur mir blieb diese Gnade verwehrt! Auch ich wollte so dahinscheiden. Doch bevor mich die Schneide des Schwertes traf, ging ich durch einen Schlag zu Boden, verlor das Bewusstsein und überlebte. Was ist meine Sünde, dass mir diese Gnade verwehrt wurde?“, schrie Ariel laut auf. „Warum nur ließ mich der Herr mit dieser Schmach zurück?“
    „Zweifle nicht an ihm, denn seine Wege sind unergründlich!“, rief einer.
    Ariels Bericht hatte ihnen endgültig klargemacht, dass auch sie ihrem Schicksal nicht entrinnen konnten. Nur wenn die Herrscher über die Stadt sie beschützten, gab es Hoffnungauf Rettung.
    Ariel hatte sich beruhigt und redete weiter. „Die nackten Leichname wurden in Gruben verscharrt. Somit bleibt ihre letzte Ruhestätte anonym. Selbst im Tod wurde uns die letzte Ehre der freundlichen Erinnerung verwehrt.“
    Betroffenheit erfasste die Anwesenden, nachdem er seine Schilderung beendet hatte.
    Isaak bar Mose konnte seine Gefühle nicht länger unterdrücken und stimmte eine Klage an: „Oh Herr Israels, willst du den Überresten deines Volkes ein Ende bereiten? Du hast uns oft gerettet und aus Ägypten und Babel geführt und nun verstößt du uns und übergibst uns der Hand Edoms, damit wir fallen? Wende dich nicht von uns ab, denn in unserer Not hilft uns keiner!“
    „Isaak, sollte der Herr sich tatsächlich aufgrund unserer Sünden von uns abgewandt haben, erweicht ihn auch dein Flehen nicht“, belehrte ihn Kalonymos und löste mit dieser Äußerung Empörung unter seinen Brüdern aus, denn was er sagte, erschien ihnen wie ein Frevel. Doch er überging die Entrüstung und redete weiter. „Ariel hat uns gezeigt, dass wir nicht auf die Solidarität der Bürger oder die Beteuerungen eines Bischofs vertrauen können. Wie ihr wisst, habe ich unmittelbar nach Jonahs Warnung an den Kaiser geschrieben. Er hat daraufhin seine Fürsten sowie weitere Verbündete angewiesen, alles zu unserem Schutz zu unternehmen. Aber wie die Erfahrung lehrt, ist auf solche Zusagen nur wenig Verlass. Deshalb

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