Das Blut von Magenza
wie damals?
Der Graf befand sich in seinem Schreibzimmer und schien nicht sonderlich überrascht, ihn zu sehen. „Ich habe dein Kommen beinah erwartet“, empfing er ihn.
„Dann wisst Ihr es bereits?“
„Allerdings. Der Stammsitz unserer Familie ist Worms. Mein Bruder warnte mich heute durch einen Boten. Deshalb versetzte ich meine Wachen auch in Alarmbereitschaft.“
„Das wird nicht reichen, um Battenheim zu schützen. Ihr müsst Euch, Eure Familie und die Dorfbewohner in Sicherheit bringen. Der Erzbischof sendet heute noch Soldaten aus, damit sie auch die Bewohner der Nakheimer Mark in Sicherheit bringen. Ich kam, um euch zu holen.“
„Dann sollen wir das Dorf sich selbst überlassen?“
„Ja.“
„Ich verstehe nicht, warum sie uns schaden sollten“, meinte Bolko uneinsichtig.
Hanno versuchte ihn zu überzeugen. „Möglicherweise unterschätzt ihr die Gefährlichkeit der Lage. Die Pilger brauchen zu essen. Habt ihr genug, um ihre Mäuler zu stopfen? Und wenn sie nicht bekommen, was sie fordern, nehmen sie es sich einfach. Dabei folgen sie nur ihren eigenen Regeln, die vergleichbar sind mit denen eines Krieges. Die Gesetze des Kaisers gelten für sie nicht mehr. Die Wallfahrer sind bereit, für ihr Seelenheil zu sterben und die meisten von ihnen haben nichts zu verlieren, da sie sowieso zu den Ärmsten der Armen gehören. Häuser kann man wieder aufbauen, Felder neu bestellen, aber Tote nicht zum Leben erwecken. Es wäre sicherer, Ihr würdet die Menschen samt ihrem Vieh und ihrer Habe in die Stadt retten. Und wenn Ihr es nicht für Euch tut, tut es für Eure Frau und eure Tochter“, mahnte Hanno eindringlich und fügte noch schnell hinzu: „Es wurde auch von Schändungen berichtet.“
Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und brachten Bolko nach längerem Abwägen zum Einlenken. „Du verstehst es, zu reden und zu überzeugen. Jetzt müssen wir noch den Pfarrer auf unsere Seite bringen, damit er morgen früh während der Messe erklärt, warum wir das Dorf verlassen. Wie viel Zeit haben wir?“
„Wenig. Am Freitag sollten wir in Mainz sein.“
„Das ist nicht viel und es wird dem Pfarrer nicht gefallen, da wir den morgigen Feiertag missachten müssen, um unsere Flucht vorzubereiten. Und nun lass uns gehen.“
Während sie zum Pfarrhaus eilten, fragte Graf Bolko unvermittelt: „Kamst du nur, um uns nach Mainz zu geleiten oder gibt es einen anderen Grund?“
Bolko schien ähnlich wie der Kämmerer zu denken. Hatte sich Yrmengardis ihrem Vater etwa offenbart? Er umging die Antwort geschickt. „Nachdem was Ihr und Eure Familie für mich getan habt, halte ich es für meine Pflicht, jetzt meine Schuld zu begleichen.“
„Es ehrt dich, dass du so denkst. Als ich dich zum ersten Mal sah, war ich skeptisch. Ich wusste nicht, ob dir zu trauen ist. Die ganzen Umstände, dein Gepäck und auch dein Verhalten gaben mir Anlass zu vermuten, du könntest ein anderer sein, als du vorgabst. Nachdem ich dich näher kennenlernte und erfuhr, in wessen Diensten du stehst, kann ich meine Zweifel noch immer nicht ablegen. Ich vermute, dass manches von dir gefordert wird, was einem rechtschaffenen Mann widerstrebt. Du übernimmst für den Kämmerer bestimmt Aufgaben, von denen ich besser nichts erfahre, da ich sie nicht gutheißen würde. Oder?“
Hanno bestätigte es ihm, rechtfertigte sich aber im gleichen Atemzug. „Ich achte aber immer die Gebote – soweit es mir möglich ist.“
„Auch solche Dinge müssen getan werden und ich bin nicht dein Richter. Jetzt in der Not zeigst du dein wahres Gesicht und beweist, dass du ein verantwortungsbewusster Mann bist, der zügig Entscheidungen trifft. Das gefällt mir. Deshalb vertraue ich dir und lege unser Schicksal in deine Hände.“
Hanno, der nicht wusste, was er auf die erstaunlich offenen Worte des Grafen sagen sollte, blieb die Antwort erspart, denn sie erreichten die Unterkunft des Pfarrers. Das kleine Gebäude hatte schon bessere Zeiten gesehen und der Garten, der es umgab, machte einen vernachlässigten Eindruck.
„Lass mich mit ihm sprechen“, meinte Bolko. „Er ist etwas voreingenommen Fremden gegenüber. Außerdem ist er ein glühender Anhänger des Kreuzzuges. Es wird nicht leicht sein, ihn zu überreden. Falls du doch etwas sagst, überlege es dir genau.“
Der Dorfpfarrer war ein kleiner, hagerer Mann mittleren Alters mit mausgrauem Haar und dem Gesicht eines Frettchens. Er nahm gerade seine Abendmahlzeit zu sich und war über die
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