Das Blut von Magenza
inzwischen ein festes Dach über seinem Kopf. Aber sein jetziges Daseinunterschied sich völlig von seinem früheren Vagabundenleben. Tief in seinem Herzen wohnte noch immer die Sehnsucht nach seiner ehemaligen Unabhängigkeit. Bevor er – nicht ganz freiwillig – in die Dienste des Kämmerers getreten war, hatte er keinem Herrn gedient. Er war frei gewesen und hatte in einem Verschlag in der Nähe der südlichen Stadtmauer unter Gleichgesinnten gehaust. In dieser verschworenen Gemeinschaft fühlte er sich aufgehoben und verdiente sein Geld mit dem Vorführen von Kunststücken oder mit Geschichtenerzählen. In Zeiten, in denen die Münzen weniger flogen, setzte er seine Fingerfertigkeit auf andere Weise ein und erleichterte die Gutbetuchten um geringe Beträge, die sie kaum vermissten.
Alles ging so lange gut, bis in Mainz das Gerücht von einem geschickten Dieb die Runde machte. Das weckte die Aufmerksamkeit des Kämmerers, der einen Mann auf ihn ansetzte und Hanno schließlich auf frischer Tat ertappte. Hanno wurde ihm in Fesseln vorgeführt und der Kämmerer ging hart mit ihm ins Gericht. „Du wurdest beim Stehlen erwischt und hast dich ausgerechnet an einem der Dienstleute des Erzbischofs vergriffen. Damit hast du das Gesetz gebrochen“, wies Embricho ihn scharf zurecht. „Dies kann und wird nicht geduldet. Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?“
Hanno ahnte, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war und beschloss, ehrlich zu sein. „Ich hatte Hunger und kein Geld. Die Männer des Bischofs sind satt und nicht so klapprig wie ich. Wenn ich ihnen einen Heller stehle, merken sie‘s noch nicht einmal. Aber mir füllt er den Magen und garantiert mein Überleben“, erwiderte er forsch, achtete aber darauf, nicht auf den immensen Bauch Embrichos zu starren.
Das entging diesem keineswegs und entlockte ihm sogar ein Schmunzeln. Die Dreistigkeit dieses Kerls sowie seine Redegewandtheit beeindruckten ihn. „Dann hältst du die Männer der Kirche also für zu beleibt?“
Hanno wand sich wie ein Aal. „Nun nicht gerade zu beleibt, aber eben wohlgenährt.“
„Hast du‘s mal mit ehrlicher Arbeit versucht?“, hakte der Kämmerer nach.
„Wer vertraut schon einem Kerl wie mir?“, meinte Hanno und schaute ihn offen an. „Ich habe keinen Leumund vorzuweisen. Meine Eltern haben mich an einen Fahrenden verkauft, als ich ein Kind war. Ich habe keinen Beruf erlernt und bin fremd in dieser Stadt!“
Embricho wiegte seinen Kopf hin und her. Der Kerl imponierte ihm immer mehr. Dumm war er auch nicht. Er hatte zwar gegen das Gesetz verstoßen, aber er besaß Talente, die, richtig eingesetzt, von Vorteil sein konnten. Deshalb entschied er kurzerhand, ihn probeweise in seine Dienste zu nehmen. „Du hast eine flinke Zunge und deine Argumente sind wohlüberlegt. Dennoch kann ich dein Tun nicht gutheißen. Aber trotz deines Verhaltens scheinst du einigermaßen ehrlich zu sein. Ich bin bereit, dir unter bestimmten Voraussetzungen Arbeit zu geben. Du bist meinem direkten Befehl unterstellt, musst mir absoluten Gehorsam leisten und wirst ab heute ein ehrlicher Mann. Verstößt du dagegen, wirst du wie ein gemeiner Dieb behandelt. Du weißt, was das bedeutet?“
„Ich würde mich wohl von einer meiner Hände trennen müssen.“
„Über eine schnelle Auffassungsgabe verfügst du anscheinend auch!“, stellte der Kämmerer fest.
„Somit bleibt mir wohl keine Wahl. Gibt es nicht docheine andere Möglichkeit?“, zögerte Hanno, den die Vorstellung eines geordneten Lebens eher schreckte als lockte.
„Nein! Da dir dein Entschluss anscheinend schwerfällt – trotz der wenig erquicklichen Alternative – verbringst du zwei Nächte in Gewahrsam. Mal sehen, ob dir das nicht bei deiner Entscheidungsfindung hilft“, ordnete Embricho an und ließ ihn abführen.
Diese beiden Tage Bedenkzeit im Gefängnis brachten Hanno zur Einsicht. Als er erneut vorgeführt wurde, unterwarf er sich dem Willen Embrichos, ohne noch einmal aufzubegehren. „Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt!“
„Ohne Wenn und Aber?“
Hanno deutete eine Verbeugung an. „Zu Euren Bedingungen. Was werden meine Aufgaben sein?“, wollte er wissen.
„Das erfährst du früh genug. Erst einmal müssen wir dich zu einem anständigen Mann machen.“
„Damit fang’ ich am besten gleich an“, grinste Hanno breit und stand zum Erstaunen Embrichos plötzlich ohne Fesseln vor ihm.
„Kunststücke beherrschst du also ebenfalls. Da werden meine
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