Das Blut von Magenza
Männer ganz besonders auf dich achten müssen.“
„Wenn es ihnen gelingt.“
„Hüte dich! Sei dir nicht zu sicher“, mahnte ihn der Kämmerer, der nur schwer seine Sympathie für diesen Jungspund verbergen konnte. Denn er war überzeugt, dass Hanno einen guten bischöflichen Agenten abgeben würde. Er besaß die entsprechenden Voraussetzungen, ihm musste nur noch Verschwiegenheit, Loyalität, der Umgang mit Waffen sowie höfischers Benehmen beigebracht werden.
„Und du hältst auch dein Wort?“, forderte Embricho Hannos Versprechen ein.
„Ich habe es noch nie gebrochen und werde es auch Euchgegenüber nicht tun, solange Ihr mich gerecht behandelt.“
„Du hast keine Forderungen zu stellen!“, erregte sich der Kämmerer. „Noch heute beziehst du eine Kammer in meinem Haus. Zuvor allerdings nimmst du ein Bad und lässt dir die Haare schneiden. Neue Kleider brauchst du ebenfalls. In deinen alten Fetzen hausen bestimmt die Flöhe! Ein Diener bringt dich zu meinem Schneider, der dir angemessene Kleidung verpassen wird. Und nun geh in die Badestube! Morgen leistest du mir den Treueschwur“, verlangte er noch von ihm, bevor er ihn entließ.
Nach dem Bad und den Besuchen beim Barbier und Schneider fühlte Hanno sich wie ein anderer Mensch. Er roch angenehm und sein Gesicht kam dank der gekürzten Haare besser zur Geltung. Nur an die neue Kleidung und die Schuhe musste er sich noch gewöhnen. Die eigene Kammer war zwar klein, genügte aber seinen Ansprüchen, er hatte in seinem Leben schon schlechter gewohnt. Dennoch grübelte Hanno über die wahren Absichten des Kämmerers. Er konnte sich nicht vorstellen, warum er ihn zu sich geholt hatte. Fand er Gefallen an seiner jugendlichen Gestalt und wollte ihn deshalb in seiner Nähe haben, um einer versteckten Neigung nachzugehen? Doch bald erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet. Hanno blieb völlig unbehelligt, sein Dienstherr unternahm niemals irgendwelche Annäherungsversuche. Er legte keinerlei sexuelles Verlangen an den Tag – weder Männern noch Frauen gegenüber. Seine Leidenschaft galt einzig dem Essen und dem Geld.
Hannos Lehrzeit war hart, weil ihm das Stillsitzen schwerfiel. Doch bald fand er Spaß daran. Lesen und Schreiben lernte er ohne große Mühe, vor allem das Rechnen hatte es ihm angetan. Weniger Enthusiasmus brachte er fürKirchenlatein auf. Zusätzlich wurden ihm gesellschaftliche Umgangsformen wie die Kunst des Disputs, das Zitieren von Gedichten und das Tanzen beigebracht, damit er in der besseren Gesellschaft nicht wie ein Bauerntölpel auftrat. Den Disput liebte er, entsprach er doch seinem Naturell, das Tanzen dagegen verabscheute Hanno. Er kam sich vor wie ein balzender Gockel und konnte keinerlei Sinn darin erkennen. Aber sein Lehrmeister war unerbittlich, und schließlich erreichte er auch darin eine gewisse Fertigkeit.
Nachdem seine Lehrzeit vorüber war, übertrug Embricho ihm kleine Aufgaben, die er stets korrekt erfüllte. Das Vertrauen des Kämmerers in ihn wuchs, und bald wurde er auf seine erste längere Reise geschickt. Hanno hätte diese Gelegenheit zur Flucht nutzen können, aber er tat es nicht, sondern erledigte seinen Auftrag mit Erfolg. Danach wurde er immer häufiger eingesetzt und erhielt kleinere Privilegien wie eine größere Kammer und die Möglichkeit, sich selbst ein Pferd aus dem Stall des Kämmerers auszusuchen.
Je gefährlicher seine Einsätze wurden, umso mehr begann er diesen Nervenkitzel zu lieben. Gab es einmal eine längere Ruhephase, brach die alte Unruhe wieder in ihm aus und er sehnte sich nach Abwechslung. Der Mord an Bruder Anselm, so tragisch er auch war, kam für ihn genau im rechten Augenblick. Weihnachten stand vor der Tür, was mehrere Feiertage in Folge mit endlosen Kirchgängen bedeutete. Und der Besuch von Gottesdiensten zählte nicht gerade zu Hannos Lieblingsbeschäftigungen. Seine Nachforschungen fernab in Worms gewährten ihm einen Vorschuss an Freiheit, der diese Festtage erträglicher machen würde. Deshalb wollte er seine Erkundungen bis zur letzten Stunde ausdehnen.
Montag, 17. Dezember 1095, 18. Tewet 4856
Mainz, Große Scheffergasse
„Margreth, wo ist mein Gastgeschenk?“, rief Griseldis die Stiege hinunter, während sie sich herrichtete.
Ihre Magd eilte die Stufen nach oben und reichte ihr den Tiegel. „Hier, Herrin.“
„Und wie sehe ich aus?“, wollte Griseldis von ihr wissen.
„Wie immer wunderschön. Ihr werdet die anderen Frauen in den Schatten
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