Das Blut von Magenza
auch in Erfüllung gegangen und er wäre heute ein angesehener Weinschröter in Köln und würde das Geschäft seines Vaters weiterführen, statt als Dieb durchs Land zu ziehen. Aber er hatte in seiner jugendlichen Begierde einfach seine Hände nicht vom Weib seines Meisters lassen können. Eines Tages waren sie von ihm im Ehebett erwischt worden. Während er sein Weib windelweich schlug, drohte er Wolff unter Flüchen eine härtere Strafe an. Er hatte gerade noch aus Köln entwischen können, bevor sie ihn fassten. Dabei ließ er seinen Vater und sein Liebchen Marie ohne ein Abschiedswort zurück, was ihm beide bis heute wohl nie verziehen hatten.
Ab diesem Zeitpunkt ging es bergab. Nirgends fand er in seinem Beruf Arbeit und verdingte sich mehr schlecht als recht als Tagelöhner. Irgendwann war ihm Hartwig begegnet und sie gingen ein Zweckbündnis ein, das ihnen lange ein gutes Auskommen bescherte. Doch jetzt war seine Jugend vorüber. Er stand an der Schwelle zum mittleren Alter und sehnte sich wieder nach einer bürgerlichen Existenz. Noch besaß er seinen Gesellenbrief, der ihm dies ermöglichen konnte. Er wollte nach Köln zurückkehren und einen Neuanfang wagen. Der alte Meister war gewiss tot und sein Fehltritt längst vergessen. Deshalb sparte er seit geraumer Zeit jeden Heller, Pfennig und Kreuzer, den ererübrigen konnte. Als armer Mann wollte er nämlich nicht gelten, wenn er sich in seiner Heimatstadt niederließ. Auch wenn er auf das Einverständnis der anderen Weinschröter angewiesen war, glaubte er fest daran, sie überzeugen zu können. Vielleicht lebte ja sein Vater noch und gab ihm eine Chance.
Damit sein Vorhaben aber auch glückte, durfte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Trotz seiner Schandtaten galt er als unbescholtener Mann, denn niemand brachte ihn bislang mit ihnen in Verbindung. Der Einzige, der ihn enttarnen könnte, war Hartwig. Dazu durfte es aber nie kommen. Er musste einen Ausweg finden. Dabei war ihm alles recht. Der Zweck würde schon die Mittel heiligen, dachte er und schlief endlich ein.
In der Nakheimer Mark
„Brrr, mein Alter. Bleib stehen. Ich muss mal pinkeln“, sagte Hanno.
Wie immer hatte er sich das ausdauerndste Pferd aus dem Stall des Kämmerers ausgesucht. Es war inzwischen so an ihn gewöhnt, dass es auf Zuruf reagierte, und auch jetzt hielt es sofort an. Er stieg ab und führte es von der Straße ins Gras, damit es weiden konnte, während er selbst seine Blase entleerte. Sie befanden sich auf einer Anhöhe in der Nakheimer Mark, von der Hanno einen herrlichen Blick über die Rheinebene hatte. Der Boden bestand aus rotem Löss und stach dem Betrachter schon von Weitem ins Auge. Zu seinen Füßen lagen Albisheim, das sich an den Hang zu schmiegen schien, und der Rhein, der sich wie ein breites Band durch die Landschaft schlängelte. Sein Flussbett wurde immer wieder durch verstreute Inselnzerteilt, die dicht bewaldet waren und allerlei Vögel und anderes Getier beherbergten. Je nach Witterung leuchtete der mächtige Strom mal grün und mal blau. Heute jedoch spiegelte er das triste Grau des Himmels wider. Zarte Dunstschleier hüllten seine Ufer ein, aber Hanno, der die Augen eines Falken hatte, konnte trotzdem Einzelheiten erkennen.
Auf dem Wasser erblickte er neben kleinen Fischerbooten auch schwerbeladene Frachtkähne. Flussaufwärts setzte gerade eine Fähre Fußvolk und ein Fuhrwerk über. Er entdeckte Männer auf dem Treidelpfad, die mit Hilfe von Ochsen einen Kahn flussaufwärts zogen. Meist war dieser flussnahe Weg morastig und ein Vorankommen deshalb schwierig. Zudem war er schmal und an manchen Stellen überwuchert, was häufig zu Behinderungen führte. Zwar stellte er die direktere Verbindung zwischen Worms und Mainz dar, aber die meisten Reisenden nutzten lieber den besser passierbareren Höhenweg, den auch Hanno immer nahm. Bevor er weiterritt, stillte er noch seinen Durst mit einer Mischung aus Wasser und Wein und saß dann wieder auf.
Hanno war gerne draußen, denn manchmal engten ihn die Häuser und schmalen Gassen ein. Dann zog es ihn hinaus aufs Land, wo der Wind ihm die Gerüche der Natur zutrug, ohne von den miefigen Ausdünstungen der Stadt verunreinigt zu sein. Dies waren die Augenblicke, in denen er wieder zu sich fand und alles hinter sich ließ. Vor allem weil er sich so der strengen Kontrolle Embrichos entziehen konnte.
Hanno war dem Kämmerer durchaus dankbar für das, was er ihm angedeihen ließ, und er schätzte auch
Weitere Kostenlose Bücher