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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Platz
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oder hinaus, ohne an den Wachen vorbei zu müssen, und Ruthards Befehle sind eindeutig.“
    „Hoffentlich behältst du recht“, seufzte Widukind.
    In der Stadt
    Der Wachsoldat auf dem Turm ließ seinen Blick prüfend über das Heer der Belagerer schweifen. Mancherorts brannten kleine Feuer, deren beißender Qualm bis zu ihm herübergeweht wurde. Unter ihn mischten sich die Ausdünstungen der ungewaschenen Leiber und ihrer Ausscheidungen. Die unzähligen Körper, die dürftig bedeckt auf dem nackten Boden lagen, erschienen ihm aus dieser Entfernung wie ein riesiger Drache, der nach Tagen des Zorns endlich ruhte, um Kraft zu tanken. Die hohe Geldsumme hatte die Gemüter dort draußen besänftigt, was sich von denen im Innern der Stadt nicht behaupten ließ. Als der Wächter sich umdrehte, bemerkte er eine Veränderung. Unter den vertrauten Geruch mischte sich eine fremdeNote. Noch war es nur ein Hauch, eine kaum wahrnehmbare Nuance, aber es roch eindeutig faulig.
    Über die Burg hatte sich Stille gesenkt. Die Menschen verharrten in einem apathischen Dämmerzustand, ohne wirklich Schlaf zu finden. Auch Gerhard wälzte sich unruhig hin und her, nur Reinhedis atmete tief und gleichmäßig an seiner Seite. Seit Christi Himmelfahrt hatte sie sich von einer Stunde zur anderen verändert. Ihre Augen blickten nicht mehr stumpf und ihr Gesicht hatte seinen gesunden Teint wieder. Nachts geisterte sie nicht länger wie von einer fremden Macht getrieben durch die Burg und nahm inzwischen am Alltagsgeschehen mit frisch erwachtem Elan teil. Sie schien ihm so zu sein wie früher, nur mit der Spur eines schlechten Gewissens behaftet. Das erste Mal seit ihrer Niederkunft schenkte sie ihrem Sohn echte mütterliche Zuneigung und die Aufnahme der Juden ertrug sie, ohne sich über die Enge zu beschweren. Wenn ihre häuslichen Pflichten ihr die Zeit ließen, kümmerte sie sich fürsorglich um die Schutzsuchenden. Gerhard war über ihren Sinneswandel gleichermaßen erfreut wie erleichtert, auch wenn er im Stillen grübelte, woher er rührte.
    Für seine Familie hatte er vorgesorgt, sollte die Burg wider Erwarten gestürmt werden. Denn trotz der Lösegeldübergabe traute er dem Frieden nicht. Erst wenn kein Wallfahrer mehr vor der Stadt lagerte, konnten sie aufatmen. Die Pforte zum Geheimgang war von außen und von innen notdürftig mit Steinen verschlossen worden und er hatte Nahrung, Decken und Fackeln hineinschaffen lassen, damit sich Reinhedis und die Kinder im Notfall dorthin flüchten konnten. Dieser Gedanke beruhigte ihn etwas und endlich schlief er ein.
    Conrad und Isaac saßen am Tisch und nahmen eine kleine Mahlzeit zu sich, wobei Isaac kaum etwas hinunterbrachte. Der Mönch betrachtete ihn besorgt, denn der Junge war inzwischen so durchscheinend wie Pergament. Um ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken, erzählte Conrad von den Verhandlungen und der Lösegeldübergabe, doch der Knabe hörte ihm nicht zu. Mit leerem Blick starrte er vor sich hin und zeigte auch ansonsten kaum eine Reaktion. Fragen beantwortete er nur einsilbig und schließlich gab es Conrad auf, ein Gespräch mit ihm führen zu wollen.
    Gähnend streckte er sich. „Ich muss mich ausruhen. Seit Tagen habe ich kaum geschlafen.“
    Jetzt kam plötzlich Leben in Isaac und er hob den Kopf. „Was denkst du, wie es den anderen geht?“, fragte er ängstlich.
    „Meinst du Sara und deine Mutter oder die Mitglieder deiner Gemeinde?“
    „Alle.“
    „Es geht ihnen gut, du brauchst dich nicht zu sorgen. Auch du solltest etwas schlafen.“
    „Ich bin aber nicht müde und lese lieber noch etwas“, erwiderte Isaac nur.
    In der erzbischöflichen Residenz saßen Ruthard und Embricho noch beisammen. Der Erzbischof vergewisserte sich, ob der Kämmerer den Domschatz in Sicherheit gebracht hatte. „Und alle Teile sind sicher verwahrt?“
    „Ja“, bestätigte ihm Embricho ohne mit der Wimper zu zucken. „Vor allem das kostbare Benna-Kreuz ist gut versteckt. Ich habe es so eingerichtet, dass nur ich weiß, wo sich alles befindet.“
    „Hältst du das für klug?“
    „Sollte einer meiner Männer doch in Versuchung geraten, kann er nur einen Teil stehlen.“
    „Was ist, wenn dir und deinen Männern etwas zustößt? Dann kennt niemand die Verstecke.“
    Der Kämmerer legte die Stirn in Falten. Das hatte er nicht bedacht. „Was sollte mir schon geschehen?“, wiegelte er ab.
    „Niemand kennt sein Schicksal! Es kann sich von einer Minute zur anderen ändern! Tu also, was

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