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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Platz
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fluchtartig das Weite suchte. Einmal hatte er sich einen Zeh gebrochen, als er unkontrolliert gegen einen Sandstein trat. Seitdem suchte er sich weichere, weniger unfallträchtige Materialien zum Abreagieren aus. Seine Anfälle dauerten immer nur kurz und seine Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. Danach war er zahm wie ein Lamm – wenn auch wie ein äußerst beschämtes. Jeder, der einen solchen Auftritt einmal miterlebt hatte, erkannte frühzeitig die Alarmsignale und so gingen ihm die Gesellen heute aus dem Weg.
    Auch Meister Archibald sah, worauf Widukind zusteuerte, und verwickelte ihn in eine Unterhaltung, um ihn abzulenken. „Erinnerst du dich noch an unsere allererste Begegnung, als du mir voraussagtest, der Lehrling würde den Stein zerstören?“, fragte er, in Erinnerung schwelgend.
    Widukind musste trotz seiner Anspannung grinsen. „Die werde ich nie vergessen. Ich war dir gegenüber ziemlich respektlos und hielt mich für besonders schlau.“
    „Dennoch hast du mit allem recht behalten. Es ist genauso gekommen, wie du gesagt hast.“
    „Dabei glaubte ich damals eigentlich selbst nicht so recht daran. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mich gegen meinen Vater durchsetzen könnte. Allerdings ist der Preis, den ich dafür zahle, auch hoch.“
    „Er wird früher oder später einsehen, dass du die einzigrichtige Wahl getroffen hast, und dir verzeihen.“
    „Du kennst Bolko von Cankor nicht. Er ist stolz und würde einen Fehler nie zugeben. Eher fällt der Mond vom Himmel.“
    „Vielleicht täuschst du dich in ihm. Hast du ihm die Figur des Heiligen Georg gesandt?“
    „Ja. Vorgestern“, bestätigte er ihm, äußerte sich aber nicht näher dazu.
    „Und was sagst du zu den beiden Lehrlingen?“, wechselte Archibald das Thema und deutete auf Magnus und Severin.
    „Magnus wird wohl ein bedächtiger Steinmetz werden, der seine Arbeiten ordentlich ausführt. Ihm mangelt es aber an Vorstellungskraft. Severin dagegen lässt trotz seiner kürzeren Lehrzeit bereits erahnen, dass er über künstlerisches Gespür verfügt. Wenn er seine Arbeit liebt, wird er einmal Figuren voller Leben erschaffen können.“
    „Genau wie du. Du könntest ihn später unter deine Fittiche nehmen.“
    „Archibald, ich weiß nicht, wohin es mich verschlägt. Außerdem kann es nur einen Meister in der Dombauhütte geben und der bist du.“
    „Ich hoffte, du würdest meine Nachfolge antreten. Da ich nur Töchter habe, wärst du der Mann, den ich mir dafür wünsche.“
    Widukind fühlte sich geehrt, aber er wollte sich nicht unter Druck setzen lassen. „Es ist noch zu früh für mich, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Mich zieht es hinaus in die Welt. Es gibt so vieles, was ich noch nicht gesehen habe. Außerdem wird eine deiner Töchter gewiss einen Steinmetz heiraten und die Tradition fortsetzen.“
    „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Dennoch bist du der Mann, den ich mir als Meister wünsche. Ich dränge dichnicht, du hast noch ein paar Jahre Zeit, bevor ich aufhöre.“
    „Dein Angebot weiß ich zu schätzen und werde darüber nachdenken. Willst du dir meine Madonnenentwürfe ansehen? Deine Meinung ist mir wie immer wichtig.“
    „Gern“, erwiderte Archibald. „Was wirst du über die Feiertage tun?“
    „Meine Familie besuchen.“
    „Du könntest, genau wie die Gesellen und die Lehrlinge zum Weihnachtsessen zu uns kommen.“
    „Danke, aber ich habe meine Mutter und meine Geschwister seit Jahren nicht gesehen und so schnell wird sich nicht wieder die Gelegenheit dazu bieten“, meinte Widukind und zeigte ihm die Skizzen.
    Archibald warf einen Blick darauf und nickte zustimmend. Gern hätte er seinem Gesellen einen Verbesserungsvorschlag gemacht, doch bis auf das fehlende Gesicht gab es nichts zu bemängeln.
    „Sie wird wunderschön“, bekannte er. „Beim Antlitz lässt du dich wohl noch inspirieren?“
    Widukind nickte. „Vom Stein oder auch von einer schönen Frau, wenn mir eine über den Weg läuft.“
    „In Mainz gibt es doch davon etliche.“
    „Ich weiß, aber keine, die mein Herz anrührt.“ Dabei verschwieg er, dass es sehr wohl eine gab, die aber nie die seine werden würde. „Schönheit ist nicht alles! Was nützt sie ohne Seele?“, redete er weiter.
    „Du stellst hohe Ansprüche“, stellte Archibald fest.
    „Findest du?“
    „Was braucht ein Weib mehr als Brüste, Schenkel und einen Schoß?“
    „Fleisch wird schlaff und ein Schoß vertrocknet, doch ein gutes

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